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AutorenbildWalter Gasperi

September 5 – The Day Terror Went Live

"September 5" - Packender kammerspielartiger Thriller

Tim Fehlbaum zeichnet konsequent aus der Perspektive des Fernsehteams von ABC den Terroranschlag bei den Olympischen Spielen 1972 in München nach: Ein packendes Kammerspiel, das im Historischen aktuelle Fragen nach ethischer Verantwortung der Medien aufwirft.


Der Anschlag der palästinensischen Organisation "Schwarzer September" auf die Olympischen Spiele in München am 5. September 1972 ist bestens dokumentiert. Acht Terroristen überfielen damals das Quartier der israelischen Mannschaft im Olympischen Dorf. Zwei Israelis wurden sofort getötet, neun weitere als Geiseln genommen. Die deutschen Behörden erwiesen sich als mit der Situation völlig überfordert. – Die tragischen Folgen sind bekannt.


Schon zahlreiche Dokumentarfilme und mehrere Spielfilme gibt es zu den Ereignissen. Am bekanntesten sind wohl Kevin McDonalds mit dem Oscar ausgezeichneter Dokumentarfilm "One Day in September" (1999) und Steven Spielbergs Spielfilm "München" (2005), der in einer Mischung von Fakten und Fiktion von der Jagd des Mossad auf die Täter erzählt.


Dennoch gelingt es Tim Fehlbaum dem Thema neue und vor allem brennend aktuelle Aspekte abzugewinnen. Der 1982 in Basel geborene Fehlbaum hat sich bislang mit den dystopischen Science-Fiction-Filmen "Hell" (2011) und "Tides" (2021) einen Namen gemacht. Beschwor er in ersterem dicht eine postapokalyptische Welt, in der aufgrund der extremen Sonneneinstrahlung nur noch ein Leben in verdunkelten Räumen möglich ist, so kehrte in "Tides" eine Astronautin auf eine zerstörte Erde zurück, um die dortigen Lebensmöglichkeiten zu prüfen.


Fehlbaum wendet sich mit "September 5" nicht nur von einer fiktiven Zukunft einer realen Vergangenheit zu, sondern lässt auch an die Stelle weiter Landschaften die Enge eines TV-Studios treten. Zeichneten seine ersten beiden Filme große Bildmacht aus, so lebt "September 5" von der konzentrierten Nachzeichnung der historischen Ereignisse.


Ein kluger Entschluss war es sich ganz auf die Perspektive der Mitarbeiter des Teams des amerikanischen Fernsehsenders ABC und dessen Studio zu konzentrieren. Große Dichte entwickelt dieser Thriller durch die räumliche und zeitliche Engführung. Wesentlich trägt dazu aber auch die akribische Rekonstruktion des Studios bei.


Nicht nur die Genauigkeit in den technischen Geräten evoziert hier 1970er Jahre-Stimmung, sondern auch im visuellen Stil knüpft Fehlbaum mit verwaschenen Farben und körnigen Bildern an das US-Kino dieser Zeit an. Klug war aber auch die Entscheidung im Cinemascope-Format zu drehen. Einerseits wird nämlich die Breite des Bildes voll genutzt, andererseits bleibt die Enge des Raums stets spürbar. Der heutigen politischen Correctness geschuldet ist aber wohl, dass im Studio überhaupt nicht geraucht und nur ein Hinweis auf ein Päckchen Zigaretten daran erinnert, dass es Raucher geben könnte.


Größter Trumpf des Films ist aber wohl die meisterhafte Mischung von originalen TV-Aufnahmen von ABC und der Schilderungen der Vorgänge im Studio. Bruchlos gehen hier TV-Bilder und die Arbeit des Fernsehteams ineinander über.


Als Kontrapunkt zu den Olympischen Spielen von Berlin des Nazi-Deutschland von 1936 wollte sich die Bundesrepublik Deutschland mit den Wettkämpfen von München als weltoffen und modern präsentieren. Feiern so die ersten Bilder des Films mit originalen TV-Berichten noch die "heiteren Spiele von München" und einen weiteren Erfolg des Schwimmstars Mark Spitz, der sich sieben Goldmedaillen sicherte, so bricht mit den Schüssen am frühen Morgen des 5. Septembers der Terror ein. Da sich das Studio von ABC in unmittelbarer Nähe des israelischen Wohnquartiers befand, war der Sender prädestiniert dafür, darüber zu berichten.


Konzentriert auf die Vorgänge im Studio und die Berichterstattung durch das Studio zeichnet Fehlbaum detailliert die Ereignisse bis zum tragischen Ende nach. Es gibt nur die Sicht des Teams. Die Mitarbeiter können nur mit dem arbeiten, was sie sehen, sowie mit Informationen, die sie durch Radionachrichten und Presseaussendungen sowie mittels Funkgesprächen oder Telefonaten mit Kolleg:innen an Außenstellen erhalten.


Kurz wird nur die Frage gestreift, ob ein Team von Sportreportern wirklich geeignet ist, um über einen Terroranschlag zu berichten. Beiläufig werden auch mediales Marketing und Copyright angetippt sowie Kritik an Werbeeinschaltungen geübt. Größere Rolle nehmen aber tiefgreifendere Fragen nach der ethischen Verantwortung der Medien ein: Wo sind die Grenzen zwischen Berichterstattung und Spektakel? Was darf man einem Publikum zumuten, unter dem vermutlich Angehörige der Geiseln sind? Ist schließlich eine mediale Berichterstattung eines solchen Anschlags nicht ganz im Sinne der Attentäter, die ja möglichst große Aufmerksamkeit erregen wollen?


Brennend aktuell ist aber vor allem die Frage des Faktenchecks: Möglichst schnell möchte man einerseits der Welt über die Ereignisse informieren, andererseits fordert der Chef des Studios immer die Absicherung jeder Information durch zwei weitere unabhängige Quellen. Eindrücklich zeigt "September 5", wie im Streben als erster die Nachricht zu bringen, ungeprüfte Nachrichten weltweit verbreitet werden, die später wieder korrigiert werden müssen.


Fehlbaum pfropft diese Fragen seinem atemlosen Thriller nicht auf, sondern entwickelt sie aus der stringent erzählten Handlung heraus. Keine Backstories und Familiengeschichten zu den Mitgliedern des TV-Teams gibt es hier, sondern der Fokus liegt ganz auf den Ereignissen dieses einen Tages.


Großartiges leisten dabei auch die Schauspieler:innen, die bei diesem Kammerspiel stets präsent sein müssen. Bis in die Nebenrollen sind die Charaktere perfekt besetzt und auch, dass Fehlbaum dabei auf unverbrauchte Gesichter vertraut, erweist sich als kluge Entscheidung, wird dadurch doch der Eindruck von Authentizität gesteigert.


Fiktiv ist die von Leonie Benesch gespielte Dolmetscherin, mit der einerseits eine starke Frauenfigur in diesen Männerfilm eingeführt wird, andererseits auch die deutsche Geschichte ins Spiel kommt. Diese Marianne tritt nämlich nicht nur engagiert und entschlossen auf, sondern steht auch für eine moderne Nachkriegsgeneration, die nicht nur die NS-Zeit verurteilt, sondern auch das Versagen der deutschen Behörden während des Anschlags von München scharf kritisiert.


Gleichzeitig ergibt sich mit dieser Figur in der deutschen Synchronfassung allerdings ein Problem. Völlig absurd ist es nämlich, wenn sie dem – in der Synchronfassung deutsch sprechenden - ABC-Team deutsche Radionachrichten übersetzen muss. Die konsequente Eindeutschung der im Original wohl an mehreren Stellen mehrsprachigen Fassung wirkt wieder einmal ausgesprochen störend.

 

 

September 5 – The Day Terror Went Live

Deutschland 2024

Regie: Tim Fehlbaum

mit: John Magaro, Leonie Benesch, Ben Chaplin, Peter Sarsgaard, Zinedine Soualem, Georgina Rich

Länge: 91 min.



Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn und Cineplexx Hohenems sowie in OmU im Kinok St. Gallen.



Trailer zu "September 5 - The Day Terrror Went Live"



 

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