Eine 40-jährige Philosophiedozentin und ein etwas jüngerer Handwerker: Kann die Liebe zwischen einem so ungleichen Paar Bestand haben? – Die franko-kanadische Schauspielerin Monia Chokri spürt in ihrer dritten Regiearbeit leichthändig und mit Charme dem Wesen der Liebe nach.
Die 40-jährige Sophia (Magalie Lépine Blondeau), die Philosophiekurse für Senioren gibt, ist seit zehn Jahren mit dem Akademiker Xavier (Francis-William Rhéaume) zusammen. Beim Abendessen mit ihren eher links orientierten Freund:innen wird in schnellen Dialogen über die zerstörerische Macht des Menschen, über Moral und Gut und Böse diskutiert. Ziemlich eingeschlafen ist aber im Laufe der Jahre die Beziehung zum etwas langweiligen Xavier.
Kontrast zu diesem intellektuellen Milieu stellt der Handwerker Sylvain (Pierre-Yves Cardinal) dar, den Sophia kennenlernt, als sie ihr renovierungsbedürftiges Wochenendhaus aufsucht. Spürbare Faszination übt der unbefangene und forsche Mann vom Land auf die gebildete Städterin aus und nach ein paar Drinks in der örtlichen Kneipe verbringen sie die Nacht miteinander.
Doch es bleibt nicht beim One-Night-Stand, denn ständig muss Sophia an Sylvain denken. Bald treffen sie sich so wieder, sodass sie schließlich Xavier verlässt und in eine Wohnung zieht.
So leidenschaftlich aber auch der Sex sein mag, so werden doch, wenn sich das Paar bei Sylains Familie zum Essen trifft, ebenso das intellektuelle Gefälle und die unterschiedlichen Weltanschauungen sichtbar wie, wenn Sylvain zu einer Geburtstagsfeier mit Sophias Freund:innen kommt. Treffend werden in diesen sich quasi spiegelnden Essensszenen die Gegensätze sichtbar.
Zu den individuellen Unterschieden von Sophia und Sylvain kommt somit auch das gegensätzliche Umfeld des Paares, aber auch die Kluft zwischen Städtern und Landbevölkerung spielt hier herein. Immer wieder pendelt so auch der Film zwischen Sophias Stadtwohnung und dem in einem Wald am See liegenden Wochenendhaus. Für optischen Reiz sorgt dabei zunächst die prächtige Herbst- und später die verschneite Winterlandschaft.
Auch die vorwiegend in warmes gelbes Licht getauchten und sorgfältig arrangierten Innenszenen verleihen "Simple comme Sylvain" visuelle Eleganz, die zur kultivierten Sophia passt. Gleichzeitig verstärkt die warme Atmosphäre auch den romantischen Touch dieses leichthändig zwischen Komödie und Drama pendelnden Films. Abrupte Kamerabewegungen und schnelle Zooms machen dabei die Intensität der Anziehung und Leidenschaft ebenso unmittelbar spürbar wie später die Heftigkeit einer Auseinandersetzung.
Bauen kann Monia Chokri, die selbst in der Nebenrolle einer Freundin Sophias zu sehen ist, auch auf die beiden treffend besetzten und blendend harmonierenden Hauptdarsteller:innen. Magalie Lépine Blondeau überzeugt hier ebenso als Sophia, der trotz der Leidenschaft auch immer wieder Zweifel an ihrer Beziehung zu Sylvain kommen, andererseits ihn aber nach einem heftigen Streit sogleich wieder vermisst und seine Rückkehr ersehnt, wie Pierre-Yves Cardinal als hemdsärmeliger Handwerker mit latent frauenfeindlicher und rechter Einstellung.
Intensiviert und unterfüttert wird dabei die Frage nach dem Wesen der Liebe durch Sophias Philosophievorlesungen, in denen es immer um Positionen von Philosophen zur Liebe geht.
Platos Meinung, dass Begehren Grundlage der Liebe sei, wird so Spinozas Ansicht, dass Liebe auch ohne Begehren möglich sei, gegenübergestellt und Schopenhauers Vorstellung, dass Gefühle einzig dazu da seien, um sich fortzupflanzen und dadurch Spuren zu hinterlassen, werden ebenso kurz angeschnitten wie Vladimir Jankélévitchs Gedanke von der Irrationalität der Liebe oder die Sicht der amerikanischen Feministin bell hook, für die Liebe eine Handlung ist, bei der wir selbst entscheiden.
Etwas viel Unterbau verpasst die 41-jährige Franko-Kanadierin, die einst als Darstellerin in Xavier Dolans "Les amours imaginaires" (2010) und "Laurence Anyways" (2012) bekannt wurde, damit "Simple comme Sylvain" und hemmt damit insgesamt doch etwas den Erzählfluss. Andererseits verleiht sie ihrem dritten Spielfilm damit wiederum mehr Tiefe und lässt, unterstützt von den philosophischen Theorien, über das Wesen der Liebe, die schließlich doch nie wirklich ergründet werden kann, sinnieren und philosophieren.
Simple comme Sylvain Kanada / Frankreich 2023 Regie: Monia Chokri mit: Magalie Lépine Blondeau, Pierre-Yves Cardinal, Francis-William Rhéaume, Monia Chokri, Steve Laplante, Marie-Ginette Guay, Micheline Lanctot Länge: 110 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan
Trailer zu "Simple comme Sylvain - The Nature of Love"
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