Die Estin Anna Hints begleitet in ihrem vielfach preisgekröntem Dokumentarfilm Frauen, die in der Abgeschlossenheit einer in einem Wald gelegenen Rauchsauna tabulos und persönlich über Geschlechterbeziehungen, Körperfeindlichkeit, Liebe und sexuelle Übergriffe erzählen: Ein intimer, bildschöner Film, der in der Frauengemeinschaft leidenschaftlich die Kraft weiblicher Solidarität feiert.
Bis ins 13. Jahrhundert geht die estnische Saunatradition zurück. Eine Besonderheit stellt dabei aber die Rauchsauna dar, die auf der Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO steht. Im Gegensatz zur klassischen Sauna verfügt die Rauchsauna über keinen Kamin, sodass der Rauch in der Hütte zirkuliert. Zudem dient sie nicht nur der körperlichen Entschlackung und Reinigung, sondern auch innere Schmerzen und Ängste sollen hier durch Schwitzen, aber auch durch offenes Reden und durch rituelle Gesänge vertrieben werden.
Über sieben Jahre hat Anna Hints in und um eine solche Sauna im Südwesten Estlands ihren ersten, vielfach preisgekrönten Dokumentarfilm gedreht. Nie verlässt der Film die im Wald gelegene Hütte und den nahen, von Wiese und Wald umgebenen kleinen See. Vom eisigen Winter, in dem ein Loch in die Eisdecke des Sees geschlagen werden muss, um zur Abkühlung eintauchen zu können, bis zum leuchtenden Grün des Sommers spannt die estnische Künstlerin, Fotografin und Filmemacherin den Bogen.
Kontrast zu den bestechenden Landschaftsaufnahmen, die ein Gefühl von Weite und Freiheit erzeugen, bilden die Szenen in der Sauna. Der Landschaft stehen dabei nicht nur die menschlichen Körper gegenüber, sondern weiten Einstellungen auch in Brauntöne getauchte Detailaufnahmen der Frauen, die an Gemälde barocker Maler erinnern.
In der Abgeschiedenheit und Abgeschlossenheit dieser Hütte können sich diese Frauen unterschiedlichen Alters aber auch öffnen, über sehr persönliche Erfahrungen und ihre Sexualität sprechen. Da erzählt eine Frau bewegend, wie sie als Kind in ihrer Familie nur Ablehnung erfuhr, da sie nicht dem Schönheitsideal entsprach, ebenso wie eine andere über die Totgeburt eines Kindes und wieder eine andere schildert detailliert, wie sie als Teenager vergewaltigt wurde. Aber auch Abtreibungen oder der Schock über eine Krebsdiagnose werden thematisiert.
Der Körperfeindlichkeit und Gefühlskälte in dieser männlich dominierten Gesellschaft, in der lange Zeit Söhne wesentlich mehr galten als Töchter, die Monatsblutung als Krankheit bezeichnet wurde, über den eigenen Körper nicht gesprochen wurde und auf ein lesbisches Outing immer noch ablehnend reagiert wird, steht die Feier der Frauen und ihrer Körperlichkeit in diesem Film gegenüber.
Geduldig hört Hints zu, hält sich selbst ganz zurück und lässt ihren Protagonistinnen Raum. So nah die Kamera von Ants Tammik dabei auch an den Frauen, die teilweise ihre Gesichter verbregen, dran ist, so ist der Blick auf diese schwitzenden Körper doch nie voyeuristisch, sondern immer von Empathie bestimmt.
Großartig ist "Smoke Sauna Sisterhood" aber auch strukturiert, indem zwischen die Erzählungen immer wieder nicht nur rauchgeschwängerte poetische Bilder, sondern auch Tauchgänge im See eingeschoben werden. Damit entwickelt dieser Dokumentarfilm nicht nur einen meditativ-suggestiven Rhythmus, sondern in diesem Wechselspiel zwischen engen Innenszenen und weiten Momenten in der freien Natur spiegelt sich auch der Weg von gesellschaftlicher Beklemmung und nicht überwundenen, schmerzenden Erfahrungen zur Befreiung durch das Schwitzen und die offenen Erzählungen.
Intensiv spürbar wird diese Befreiung dabei nicht erst im sich sukzessive steigernden und beschwörend wiederholten Schlussgesang "Raus mit dem Schmerz, raus mit der Angst", sondern eben auch immer wieder im nackten Herumhüpfen in der Wiese und im Eintauchen in den See.
Eingebettet in die eindrückliche Schilderung einer faszinierenden Saunatradition wird dieser vielfach preisgekrönte Dokumentarfilm so in den Erzählungen einerseits zu einer scharfen Abrechnung mit einer körperfeindlichen patriarchalen Gesellschaft und andererseits zu einer Feier der Frauen, die sich durch offene Thematisierung ihrer Missachtung und Einschränkung und durch Solidarität aus dieser Abhängigkeit und Verdrängung befreien.
Smoke Sauna Sisterhood
Estland / Frankreich / Island 2023
Regie: Anna Hints
Dokumentarfilm mit: Kadi Kivilo, Maria Meresaar, Elsa Saks, Marianne Liiv, Eva Kübar, Liis Kuresoo, Eda Veeroja, Maria Aasa, Merit Kask
Länge: 89 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und Skino Schaan.
Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Mi 17.1., 20 Uhr
Trailer zu "Smoke Sauna Sisterhood"
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