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AutorenbildWalter Gasperi

Sparta


Ein pädophiler Österreicher wirbt in der rumänischen Provinz Buben an, um sie in einer Judoschule zu unterrichten: Ulrich Seidl provoziert dieses Mal nicht nur mit einer für diesen Regisseur gewohnt trostlosen Welt, sondern vor allem auch mit dem von Georg Friedrich intensiv gespielten, mit seinem Trieb kämpfenden Protagonisten.


Schon vor der Premiere sorgte "Sparta" im letzten August mit Vorwürfen wegen mangelnder Information der Eltern der jugendlichen Laienschauspieler über den Inhalt des Films sowie die Ausbeutung der Kinder bei den Dreharbeiten für mediales Aufsehen. In der Folge lud das Filmfestival Toronto, bei dem "Sparta" seine Premiere feiern sollte, wieder aus, sehr positiv wurde dieser Parallelfilm zu "Rimini" dann aber beim Filmfestival von San Sebastian aufgenommen.


Wie viel an den Vorwürfen wahr ist, lässt sich anhand des Films nicht beurteilen. Allgemein bekannt ist freilich, dass Ulrich Seidl schon in früheren Filmen seine Laien nicht schonte. Immer wieder sah er sich angesichts des schonungslos offenen und insistierenden Blicks auf das Hässliche und Abgründige dem Vorwurf des Voyeurismus ausgesetzt.


Schien der gebürtige Niederösterreicher mit dem Porträt eines abgetakelten Schlagersängers in "Rimini" milder zu werden, so schlägt er in "Sparta" doch wieder deutlich härtere und quälendere Töne an. Entstanden sind beide Filme freilich gemeinsam. Zuerst waren sie als ein einziger Film mit dem Titel "Böse Spiele" geplant, doch dann ergab sich - wie schon bei der "Paradies"-Trilogie - so viel Material, dass Seidl sich entschloss, daraus ein Diptychon zu machen.


Bindeglied beider Filme ist der von Hans-Michael Rehberg großartig gespielte demente Vater, der in einem Altersheim dahinvegetiert. Wie "Rimini" setzt so auch "Sparta" mit einer für Seidl typischen statischen Totalen ein. Und hier wie dort blickt die Kamera von Wolfgang Thaler (Ko-Kameramann: Serafin Spitzer) auf die gebrechlichen Bewohner:innen des Altersheim, die "So ein Tag, so wunderschön wie heute" singen.


Bittere Ironie ist dies freilich, denn Schönheit gibt es in den Filmen Seidls kaum. Vielmehr lenkt er seinen Blick mit Vorliebe aufs Hässliche. Immer wieder bricht so bei diesem alten Mann seine Nazi-Vergangenheit durch, wenn er NS-Parolen von sich gibt oder "Deutschland, Deutschland über alles" zu singen beginnt. Im Mittelpunkt stehen aber seine beide gegensätzlichen Söhne.


Während Seidl in "Rimini" Richie Bravo durch den winterlich kalten italienischen Badeort folgte, steht in "Sparta" Ewald (Georg Friedrich) im Zentrum, der in Rumänien als Ingenieur in einem Kraftwerk arbeitet. Der Kälte Richies gegenüber seinem Vater steht die liebevolle Fürsorge Ewalds gegenüber und während der eine großspurig auftritt und mit seinem schmierigen Charme immer wieder Touristinnen ins Bett holt, agiert der andere sehr zurückhaltend und spricht leise.


Sah man in "Rimini" die beiden Brüder in einer Szene noch gemeinsam, so bleibt Richie in "Sparta" außen vor. Der Fokus liegt ganz auf dem pädophilen Ewald, für den der Deutsche Markus R., der Anfang der 2000er Jahre in Rumänien als Gönner auftrat und eine Karate-Schule einrichtete, als Vorbild diente. Über 200 Buben soll Markus R. dafür rekrutiert haben. Von diesen machte er heimlich Nacktfotos, die er anschließend an die kanadische Firma Azov verkaufte.


Leicht macht es Seidl dem Publikum mit seinem Protagonisten nicht. Er zeichnet den Mittvierziger Ewald nämlich nicht als Täter, sondern als Getriebenen, der verzweifelt versucht sein pädophiles Verlangen zu unterdrücken.


Ungleich flüssiger als in seinen bisherigen Filmen ist dabei Seidls Erzählweise. Denn nach dem Auftakt gibt es kaum mehr die für diesen Regisseur typischen langen, aus Zentralperspektive gefilmten Tableaus, sondern die Einstellungen sind kürzer und die Kamera folgt immer wieder nah Ewald.


Geblieben ist freilich der Verzicht auf Filmmusik und die Tristesse der Welt und der Menschen. Auch hier verbreitet der wolkenverhangene Himmel über der niederösterreichischen Provinz, durch die Ewald seinen Vater im Rollstuhl zum Grab der Mutter schiebt, ebenso eine bedrückende Stimmung, wie das triste ländliche Rumänien mit seinen halbverfallenen Häusern.


Hier hat Ewald zwar eine Partnerin gefunden, die ihn sogar heiraten möchte, doch er fühlt sich stärker zu Kindern hingezogen. Nützt er zunächst eine Schneeballschlacht, um sich ihnen körperlich zu nähern, mietet er bald eine leerstehende Schule, in der er eine Judoschule für Buben einrichtet. Zur Festung baut er diese Anlage aus, die er "Sparta" nennt. Nur mit einer Parole erhält man Zutritt. Die Buben nennt er nach griechischen Göttern und Helden, bekleidet sie mit altrömischen Uniformen und lässt sie wie Gladiatoren in die Arena einmarschieren und miteinander ringen.


Zu körperlichem Kontakt kommt es kaum, doch spürbar wird sein Begehren, wenn er die Buben filmt und abends sehnsüchtig diese Aufnahmen anschaut und berührt. Gleichzeitig zieht er sich mit diesem Zugriff auf die Buben den Zorn von deren gewalttätigen Vätern zu. Zumindest problematisch wird "Sparta" dabei, wenn der pädophile Ewald quasi als der bessere Vater als diese Männer gezeichnet wird.


Bedenklich scheint hier auch der Bezug auf die Antike, in der Knabenliebe ja durchaus akzeptiert war, aber andererseits ist natürlich nicht zu übersehen, dass Seidl mit diesen Provokationen bewusst spielt, um einen Nachdenkprozess einzuleiten. Seine Filme erlauben kein entspanntes Zurücklehnen, sondern fordern heraus.


Mit Nazi-Vater, Ewald und den rumänischen Vätern geht es im Kern aber weniger um Pädophilie als vielmehr um die Auswirkungen patriarchaler Macht. Verloren wirkt nämlich Ewald, scheint an seinem Nazi-Vater zerbrochen zu sein, während die rumänischen Väter schon wieder Abhärtung ihrer Kinder predigen. Wie das aussehen soll, demonstriert ein Vater, indem er seinen Sohn ein Kaninchen schlachten lässt.


Der feinfühlige Ewald kann dabei gar nicht hinschauen. Trotz des militärischen Anstrichs ist seine Schule nämlich kein Ort der Abrichtung, sondern vielmehr ein Freiraum, in dem die Buben unbeschwert herumtollen können.


So bleibt dieser Ewald, dessen Zerrissenheit Georg Friedrich in seinem konzentrierten Spiel erfahrbar macht, eine höchst ambivalente Figur. Wie mit dem Film kann man sich auch mit diesem Protagonisten nicht anfreunden, doch durch die Widersprüche, die ausgelöst werden, wirkt dieses kompromisslose Drama lange nach.

Sparta Österreich / Frankreich / Deutschland 2022 Regie: Ulrich Seidl mit: Georg Friedrich, Florentina Elena Pop, Hans-Michael Rehberg, Marius Ignat, Octavian-Nicolae Cocis Länge: 99 min.


Läuft derzeit in den österreichischen Kinos, z.B. Kino Guk in Feldkirch, und ab 18.5. in den deutschen Kinos.


Trailer zu "Sparta"



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