Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Lilith Stangenberg, Robert Gwisdek, Ronald Zehrfeld: Mit einem hochkarätigen Ensemble inszenierte Matthias Glasner ein Familiendrama, das immer wieder ausufert, aber dennoch die Spannung auch über drei Stunden weitgehend aufrecht hält.
Wie persönlich Matthias Glasners bei der Berlinale mit dem Silbernen Bären für das beste Drehbuch und mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnete Familiengeschichte ist, wird mit dem Schlussinsert "Meiner Familie, den Lebenden und den Toten gewidmet" spürbar. Im Dirigenten Tom Lunies (Lars Eidinger) kann man das Alter Ego Glasners sehen, doch im Zentrum stehen zunächst dessen Eltern.
Echt und authentisch wirkt, wie der 59-jährige Deutsche das Zusammenleben der Mutter Lissy (Corinna Harfouch) mit dem an Demenz leidenden und immer wieder nackt das Einfamilienhaus verlassenden Ehemann schildert. Schockierend ist schon der Einstieg, bei dem Lissy in der Küche im wahrsten Sinne des Wortes in der Scheiße sitzt und ihren Sohn Tom mit der Bitte um Hilfe anruft. Doch dieser reagiert kühl, erklärt, dass er momentan keine Zeit habe, mit Proben und dem Baby seiner Ex-Freundin, das nicht sein Kind ist, beschäftigt sei.
Erst als der Vater, nachdem Lissy nach einem Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert wurde, in ein Heim verlegt wird, besucht ihn Tom mit der Mutter – und Glasner wechselt die Perspektive und erzählt nun von Toms Leben.
Mit einem Jugendorchester studiert dieser mit "Sterben" eine Komposition seines depressiven und von Selbstzweifeln geplagten Freundes Bernard (Robert Gwisdek) ein und bemüht sich gleichzeitig als Ersatzvater um das Baby seiner Ex-Freundin. Erst mit dem Tod seines Vaters kehrt der Film wieder zu Lissy zurück. Zu spät kommt Tom zur Beerdigung, doch heftig ist das anschließende Gespräch zwischen Mutter und Sohn am Essenstisch, in dem sie nicht nur von ihrer Krebserkrankung erzählt, sondern sie sich auch gegenseitig gestehen, dass sie sich nie geliebt haben.
Mit einem Schnitt wechselt der Film zur jüngeren Schwester Ellen (Lilith Stangenberg), die verkatert in einem Hotel in Lettland aufwacht, es dann aber doch noch nach Hamburg schafft, wo sie in einer Zahnarztpraxis als Assistentin arbeitet. Die schwere Alkoholikerin beginnt eine Affäre mit einem verheirateten Assistenzarzt (Ronald Zehrfeld). Groteske Szenen ergeben sich im Suff in der Praxis und völlig aus dem Ruder läuft der Besuch des Konzerts ihres Bruders.
Die Perspektivenwechsel ergeben keine Wiederholungen der Ereignisse aus anderer Sichtweise, sondern gering bleiben die Überschneidungen oder Verzahnungen, beschränken sich auf einzelne Telefonate oder kurze Begegnungen. Im Zentrum steht vielmehr jeweils die Geschichte der einzelnen Figur, wobei die geringen Überschneidungen freilich auch mit dem geringen Kontakt der einzelnen Familienmitglieder korrespondieren.
So geht "Sterben" mit seinen drei Protagonist:innen einerseits in die Breite, wirft durch seinen schonungslos-ungeschönten Blick auf Familiensituationen aber das Publikum auch immer wieder auf sich selbst zurück und entwickelt durch die herausragenden Schauspieler:innen große Dichte.
Corinna Harfouch brilliert als gleichermaßen verzweifelte wie kalte Mutter ebenso wie Lars Eidinger als gefühlskalter Sohn und Lilith Stangenberg spielt sich förmlich die Seele aus dem Leib als psychisch schwer angeschlagene Tochter, die gerade als Protest gegenüber ihrem "Wow"-Dirigenten-Bruder den Beruf einer allseits wenig geliebten Zahnarztassistentin gewählt hat.
Nicht alles mag da passen, vor allem die grotesken Zahnarztszenen stören den sonst realistischen Gestus, doch beeindruckend ist, wie sicher Glasner die Fäden in der Hand hält, über 180 Minuten das Interesse an den Figuren aufrecht erhält und die Geschichten und Schicksale immer wieder zusammenführt.
Sterben Deutschland 2024 Regie: Matthias Glasner mit: Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Lilith Stangenberg, Hans-Uwe Bauer, Robert Gwisdek, Ronald Zehrfeld, Anna Bederke, Saskia Rosendahl, Saerom Park Länge: 182 min.
Läuft derzeit in den deutschen und österreichischen Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn und ab 30.5. in den Schweizer Kinos
Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Mi 26.6., 20 Uhr
Trailer zu "Sterben"
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