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AutorenbildWalter Gasperi

Streaming: Atlantis


Valentyn Vasyanovych evoziert in düsteren Tableaus eindrücklich die Stimmung einer tristen, von einem langen Krieg zerstörten Ukraine. Bei Mubi.com wird der bildmächtige Film, den die Ukraine als ihren Beitrag in der Kategorie Bester Internationaler Film für die Oscarverleihung 2021 einreichte, zum Streaming angeboten.


Ein Prolog vermittelt einen Eindruck von den Gräueln des Kriegs, wenn Valentyn Vasyanovych aus God´s Eye View in einer einzigen langen Einstellung zeigt, wie ein Soldat nachts eine Grube aushebt, während zwei Kollegen einen Halbtoten herbeischleppen, mit Tritten malträtieren und schließlich ins frisch ausgehobene Grab werfen. Surreal verzerrt ist die nächtliche Szene durch die Aufnahme mit einer Wärmekamera, die das Geschehen in fluoreszierendes Blau und Lila taucht.


Mit dem Insert "2025, Ostukraine – Ein Jahr nach dem Krieg" setzt die Haupthandlung mit zwei ehemaligen ukrainischen Soldaten ein, die in einem Steinbruch Schießübungen durchführen. Wie hier kalte Grautöne dominieren und eine winterlich frostige Stimmung herrscht, so bestimmt den ganzen Film, in dem der Himmel immer grau ist, eine beklemmende und hoffnungslose Atmosphäre.


Verstärkt wird diese durch Vasyanovychs Entscheidung auf Musik zu verzichten und in langen, mehrminütigen weitgehend statischen Tableaus zu erzählen. Aus nur rund 30 Einstellungen setzt sich so "Atlantis" zusammen, ist ein klassisches Beispiel für das "Slow Cinema" und hält gleichzeitig das Publikum mit den Totalen auf Distanz. Immer bleibt man hier Beobachter, wird nie in die Handlung involviert und kommt den Figuren kaum näher. Nichts gemein hat diese Welt mit dem utopischen "Atlantis" Platons, auf dem der griechische Philosoph den idealen Staat verwirklicht sah, sondern erscheint vielmehr als eine freudlose Vorhölle, die an Andrej Tarkowskijs "Stalker" erinnert.


Das triste Setting setzt sich mit der kahlen und kalten Wohnung Sergiys und dem Stahlwerk, in dem er arbeitet fort. Nicht nur der Krieg hat tiefe Spuren hinterlassen, die seinen Kumpel bald in den Selbstmord treiben, sondern auch wirtschaftlich ist die Krise unübersehbar. Blad erklärt so auch der englisch sprechende Chef der Belegschaft, dass das Werk aus Gründen der Reorganisation geschlossen werden müsse, man aber nicht nur auf eine glorreiche Vergangenheit zurückblicken könne, sondern neue Zeiten und neue Technologien auch neue Chancen bieten würden.


Einen neuen Job erhält Sergiy als Fahrer eines Tankwagens, mit dem er das Luxusgut Wasser durch die matschige und unwirtliche Landschaft transportiert. Nicht nur Räumkommandos der zahllosen Minen erinnern hier immer wieder an den Krieg, sondern auch die Archäologin Katja, die nun nicht nach Spuren einer weit zurückliegenden Vergangenheit gräbt, sondern in einem Freiwilligenprojekt Leichen des Krieges exhumiert, um sie dann würdig zu begraben. Rasch erklärt sich auch Sergiy bereit, hier mitzuarbeiten.


Wie die Leichen durch die Arbeit der Organisation "Schwarze Tulpe" wieder ans Tageslicht gebracht werden, so ruft der 50-jährige Vasyanovych in seinem bildmächtigen vierten Spielfilm die Schrecken des Krieges in Erinnerung. Minutenlang lässt er die Pathologen im Leichenschauhaus akribisch die Funde beschreiben und zeigt detailliert die Ausgrabungen auf einem Gräberfeld.


Mehrfach wird Sergiy aufgefordert das Land zu verlassen und im Westen ein neues Leben zu beginnen, da es hier keine Zukunft gebe, doch er will und kann seine Vergangenheit nicht hinter sich lassen. Was er verloren hat, lässt eine Szene erahnen, in der die ausnahmsweise einmal bewegte Kamera ihm lange durch ein vom Krieg zerstörtes Haus folgt, in dem er offensichtlich seine Familie verloren hat.


Doch so trist die Lange insgesamt sein mag, so beschwört Vasyanovych im Finale doch die Hoffnung auf ein privates Glück: Abgeschottet in Katjas Lieferwagen, der mitten in der weiten Landschaft im strömenden Regen mit einer Panne steht, kommen Sergiy und die Archäologin sich nämlich näher. – Die äußeren Verhältnisse mögen immer noch beklemmend und hoffnungslos sein, doch die Beziehung dieses Paars strahlt in diesem ebenso kalten wie formal bezwingenden Film Wärme aus.


Streaming bei mubi.com


Trailer zu "Atlantis"


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