Neu bei filmingo.ch und filmingo.at zum Streamen: Afrika hält Gericht über die Weltbank und den Internationalen Währungsfond. Die Vorwürfe sind hart und unmissverständlich, doch durch die ruhige Inszenierung und die beiläufigen Seitenblicke aufs alltägliche Leben gewinnt Abdherrahmane Sissakos 2006 gedrehter Film eine luftige Leichtigkeit.
Ein Innenhof in Bamako, der Hauptstadt des westafrikanischen Staates Mali, ist der zentrale Schauplatz von Abdherrahmane Sissakos drittem Spielfilm. Und es ist nicht irgendein Innenhof, sondern der, in dem der in Mauretanien geborene Regisseur aufwuchs, der Hof seines Vaters und Großvaters. Wie eine Theaterbühne wird dieser Platz am Beginn des Films präsentiert und hergerichtet – Welttheater findet hier statt: Bänke für eine Gerichtsverhandlung werden aufgestellt.
Nicht alle werden eingelassen, ein Ausweis muss vorgezeigt werden, manche überwinden diese Hürde freilich auch mit Bestechung der Wärter. Dass Sissako mit dieser Kontrolle auch auf das Abschieben und Aussperren afrikanischer Flüchtlinge aus Europa anspielt, ist nicht zu übersehen, doch wird dieser Bezug nicht besonders forciert. Ganz beiläufig ergibt er sich aus dem Gezeigten.
Im Hof wird Prozess gehalten und die Fronten sind klar gezogen. Der einheimischen Bevölkerung, vom ehemaligen Lehrer über einen Arbeiter bis zur eloquenten Schriftstellerin, zusammengefasst als anklagende Zivilgesellschaft steht das hohe Gericht gegenüber. Die einen tragen Alltagskleidung, die anderen vornehme schwarze und rote Roben. Anklage erheben die Afrikaner gegen die Weltbank und den Internationalen Währungsfond und Sissako bringt die Not Afrikas ganz konkret auf den Punkt.
Bilder benötigt er nicht, er lässt die Zeugen, die sonst von der Welt nie gehört werden, sprechen: Sie klagen über die Privatisierung, die zur Einstellung von Eisenbahnlinien führten, über geringe Sozialausgaben, die den Verfall des Schulwesens und der medizinischen Versorgung verursachten und immer noch verursachen. Mehr Geld bleibt dafür aber nicht, denn 40% des Staatshaushalts muss für die Rückzahlung der Schulden an die reichen Industrienationen aufgewendet werden.
Die Folgen sind Analphabetismus, fehlende Berufschancen, Flüchtlingsströme und sinkende Lebenserwartung aufgrund der unbehinderten Ausbreitung von Seuchen wie Aids und – der schon für ausgerottet gehaltenen - Cholera und zudem raubt die internationale Gesellschaft der afrikanischen Bevölkerung das Bewusstsein einer eigenen Kultur und der eigenen Werte.
Scharf wirft die Anklägerin – wie so oft im afrikanischen Kino spielen auch in "Bamako" sich auflehnende starke Frauen eine zentrale Rolle - Weltbank und IWF in ihrem Schlussplädoyer Unmenschlichkeit und Zynismus vor. Rhetorisch geschickt versucht auf der anderen Seite der Verteidiger die Anschuldigungen zu entkräften.
In den ruhig, fast dokumentarisch gefilmten Prozess lässt Sissako immer wieder beiläufig Alltagsszenen einfließen. So sieht man im Hof auch Kinder spielen, Frauen Stoffe färben oder Kleider zum Trocknen aufhängen. Die Ausgesperrten verfolgen den Prozess vor den Toren über Lautsprecher und kappen auch dann und wann den Kontakt, um die heuchlerischen Rechtfertigungen des Verteidigers nicht hören zu müssen. Eine Hochzeit und später eine Beerdigung finden statt und man begleitet Melé, die sich von ihrem Mann Chaka trennen und nach Dakar zurückkehren will, in den Nachtclub, in dem sie arbeitet und sieht und hört ihr zu, wie sie ein melancholisches Lied singt.
Grobkörnige Videobilder eines Fotografen, der den Prozess und später die Hochzeit und die Beerdigung filmt, fließen in den Film ein, die Schilderung eines Fluchtversuchs nach Europa wird mit Bildern illustriert und im Fernsehen läuft ein afrikanischer Western mit dem Titel "Tod in Timbuktu": Weiße und schwarze Cowboys liefern sich hier einen Showdown, aber die Opfer sind letztlich die Einheimischen und hier wieder die schwächsten, denn erschossen wird eine Frau. – Eine Satire auf das Genre, aber auch ein bitterer Kommentar zu den realen Verhältnissen bringt dieser Film im Film.
Inhaltlich ist "Bamako" ein Schwergewicht, doch in diesen vielen impressionistischen Seitenblicken, in der kunstvollen Verflechtung von Prozess und Alltag, von Privatem und Öffentlichem, von individuellen Schicksalen und Not eines ganzen Kontinents und letztlich von dokumentarischem Gestus und Inszenierung wirkt dieser Film federleicht und wie hingetupft, ohne freilich dabei an Klarheit in der Analyse und Schärfe in der Anklage einzubüßen.
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