Fernanda Valadez erzählt in ihrem Spielfilmdebüt packend von einer Mutter, die dem Schicksal ihres Sohnes nachspürt, der beim Versuch von Mexiko in die USA zu emigrieren verschwunden ist. – Ein bildstarker Mix aus Roadmovie, Frauenporträt und Thriller, der aber in der Schilderung der sozialen Hintergründe sehr fragmentarisch bleibt. - Filmingo.ch bietet den Film in der Schweiz und in Liechtenstein zum Streaming an.
Aus dem Rauch eines abgebrannten Maisfelds nähert sich ein Teenager und erklärt, dass er mit seinem Freund Rigo in die USA emigrieren wird, wo ihnen Rigos Onkel in Arizona einen Job beschaffen wird.
Mitten drin ist man mit dieser ersten Einstellung schon im Spielfilmdebüt der 1981 geborenen Fernanda Valadez. Mit einem Schnitt überspringt sie zwei Monate und lässt die Mütter von Rigo und Jesus bei der Polizei melden, dass sie schon lange nichts mehr von ihren Söhnen gehört haben. Der Beamte bleibt im Off, die Kamera fokussiert in einer langen statischen Einstellung auf den beiden Frauen.
Ruhig ist die Erzählweise, doch in den Gesichtern der Mütter kann man ihre Sorge, ihren Schmerz und ihre Trauer lesen. Die Behörden interessieren sich kaum für das Schicksal der Teenager, bald aber wird eine Leiche als Rigo identifiziert. Was aber ist mit Jesus passiert? Im Leichenschauhaus werden seiner Mutter Magdalena (Mercedes Hernández) verbrannte Leichen gezeigt und ihr erklärt, dass sie Jesus für tot erklären lassen soll. Doch Magdalena will Gewissheit und fährt in die entsiedelte mexikanisch-amerikanische Grenzregion.
Eine mühsame Spurensuche beginnt, denn kaum jemand will Auskünfte geben und nur langsam erhält sie so Informationen über das mögliche Schicksal von Jesus. Im jungen Miguel, der aus den USA abgeschoben wurde und im Grenzstreifen seine Mutter sucht, findet sie schließlich einen Begleiter. Eine neue Mutter-Sohn-Beziehung scheint sich zu entwickeln, bis die Gewalt und der Terror, der in dieser Gegend herrscht, durchbrechen.
Von zwei Szenen abgesehen erzählt Valadez ganz aus der Perspektive Magdalenas und immer nur auf ihrem Wissensstand ist der Zuschauer. Thrillerspannung baut die Mexikanerin auf, indem sie bis zum ebenso überraschenden wie schockierenden Ende offen lässt, was mit Jesus passiert ist. Nur sehr zögerlich und bruchstückhaft erhält man auch Einblick in die Verhältnisse in dieser Grenzregion, die schwerbewaffnete Banden kontrollieren, Busse entführen und die Landbevölkerung vertreiben.
Nur die Ausgangssituation verbindet Valadaz´ Debüt mit Cary Fukunagas Migrationsdrama "Sin nombre" und auch als sozialrealistische Studie der Verhältnisse an der mexikanischen Grenze hat sie "Sin señas particulares" – der Titel verweist auf den amtssprachlichen Begriff für die Leichen, die in den Massengräbern Nordmexikos aufgefunden werden - nicht angelegt.
Die Fokussierung auf die Protagonistin engt den Blick sehr ein, nie erhält man einen wirklichen Überblick. Mehr eine dumpfe Ahnung eines Klimas der Gewalt macht sich breit, als dass sich Gewissheit einstellen würde. Immer wieder ruht die Kamera von Claudia Becerril Bulos auf dem Gesicht von Mercedes Hernández, die bewegend die Trauer, aber auch die Entschlossenheit Magdalenas vermittelt.
Aufs Wesentliche reduziert ist der Dialog, Valadez vertraut auf die Bilder und ein starkes, die Beunruhigung steigerndes Sounddesign. Dem Blick auf die Protagonistin stehen dabei immer wieder Totalen des steppenhaften Grenzstreifens gegenüber, durch die die Handlung geographisch verankert wird.
Auf einer dritten Ebene kommen Erinnerungen an ihren Sohn, aber auch die Erzählung eines seiner Reisebegleiter ins Spiel. Ins Gespenstisch-Delirierende taucht "Sin señas particulares" dabei ab, wenn in einer nächtlichen Szene der Teufel höchstpersönlich aufzutauchen scheint. Gerade im Verzicht auf explizite Gewaltdarstellung und in der Überhöhung des Terrors der Banden in einer finsteren, nur von einem Feuer erhellten Nachtszene wird die Gefährdung und die Angst, die in dieser Region herrschen, aber eindringlich bewusst gemacht.
Nicht alles mag so bei diesem preisgekrönten Debüt gelungen sein, aber bildstarkes, ruhig, aber dicht erzähltes Kino, das gespannt auf Fernanda Valadez´ nächsten Film warten lässt, wird bei diesem bis zum Ende fesselnden Drama, für das ein weitgehend weibliches Team verantwortlich zeichnet, dennoch geboten.
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Trailer zu Sin señas particulares – Was geschah mit Bus 670?
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