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AutorenbildWalter Gasperi

The Breaking Ice

Drei einsame junge Erwachsene finden in der winterlichen nordostchinesischen Stadt Yanji zueinander: Im Kontrast zwischen den ebenso schönen wie kalten Winterbildern und der jugendlichen Lebenssehnsucht zeichnet Anthony Chen ein von Melancholie durchzogenes Bild von Chinas Generation Z.


Wenn in der ersten Szene Eisblöcke aus dem vereisten See geschlagen werden, kann man darin sowohl eine Metapher für eine gesellschaftliche Kälte sehen als auch ein Bild dafür, wie die Protagonist:innen von "The Breaking Ice" in ihrem Leben feststecken und quasi losgeeist werden müssen. Aber der Winter in der im Nordosten Chinas an der Grenze zu Nordkorea gelegenen Stadt Yanji ist auch ganz real klirrend kalt.


Die Hochzeit eines Schulkollegen hat den jungen Haofeng aus Shanghai in die 500.000 Einwohner:innen zählende Stadt geführt. Ausgelassen wird die Vermählung gefeiert, doch bei Haofeng kommt keine Freude auf und bald verlässt er das Fest. Zwar hat er als Finanzberater keine materiellen Sorgen, dennoch erscheint er schwer suizidgefährdet, wenn er von einer Brüstung in die Tiefe blickt. Auf Anrufe bezüglich eines verpassten Termins in einer psychiatrischen Klinik reagiert er aber nicht, sondern nimmt mit Touristen an einer Stadtrundfahrt teil.


So lernt er die etwa gleichaltrige Nana kennen, die ihren Lebensunterhalt als Reiseleiterin verdient. Glücklich ist sie mit ihrer Situation so wenig wie der mit ihr befreundete Xiao, der im Restaurant seiner Tante arbeitet. Als Haofeng nach einer durchzechten Nacht seinen Rückflug verpasst, beschließt das Trio ein paar Tage gemeinsam zu verbringen. Bald geht es so an die stark gesicherte Grenze zu Nordkorea, dann streift man durch ein Labyrinth aus Eisblöcken, zieht nachts durch Bars und Discos und schließlich bricht man zu dem im Changbai-Gebirge gelegenen Himmelssee auf.


Mit beweglicher Kamera vermittelt Anthony Chen eindrücklich die Jugendlichkeit und Vitalität seiner drei Protagonist:innen. Vor allem in einer Szene in einer Buchhandlung, in der Xiao seine Begleiter:innen zu einem Buchdiebstahl herausfordert, erzeugt Chen, einen Schwung und eine Frische, die an die Filme der Nouvelle Vague erinnern. Das Gefühl von Freiheit und Spontaneität, das sich immer wieder einstellt, resultiert aber auch daraus, dass Chen ohne Drehbuch arbeitete und auf Improvisation setzte.


Gleichzeitig schafft er aber durch die ebenso großartigen wie kalten Winterbilder von Kamerafrau Yu Jing-Pin auch immer einen starken Kontrast zu dieser jugendlichen Unbekümmertheit. Bittersüße Melancholie breitet sich so durch diesen Gegensatz von äußerer Kälte und dem Traum von einem befreiten und glücklichen Leben aus, der bei dem Trio im Hintergrund immer mitschwingt.


Denn sukzessive bietet Chen in Gesprächen auch Einblick in bittere Erfahrungen von Nana, deren Träume von einer Karriere als Eiskunstläuferin durch einen Unfall zerplatzten, oder von Xiao, der wegen des Jobs seiner Tante seine Heimat verließ. Doch auch in der Fremde fanden sie kein Glück, denn ganz im Sinne von Jim Jarmuschs Kultfilm erwies sich die Fremde als "Stranger than Paradise" und an diesen Klassiker des US-Independentkinos erinnert nicht nur, wie das Trio durch die Tage stromert, sondern vor allem die Reise zum Himmelssee, den sie so wenig sehen werden wie Jarmuschs Protagonist:innen den vom Nebel verdeckten Erie-See.


So eingefroren wie die Landschaft wirken sie nun im Leben, doch niederschmetternd ist "The Breaking Ice" dennoch nie, denn durch die gemeinsame Zeit und die sich entwickelnde Freundschaft tauen Haofeng, Nana und Xiao langsam auf. So finden sie auch, indem sie sich ihren Schicksalsschlägen und ihrer verfahrenen persönlichen Situation stellen, schließlich die Kraft daraus auszubrechen und einen Schritt in eine neue Zukunft zu wagen.


Vielleicht musste mit dem Singapurer Chen, dem schon 2013 mit "Ilo Ilo" ein in Cannes mit der Camera d´Or ausgezeichnetes Debüt gelang, nicht nur ein Filmemacher aus dem Ausland, sondern gerade aus dem tropischen Süden kommen, um ein so eindrückliches und frisches Bild der chinesischen Generation Z zu zeichnen. Ganz anders als die meisten – zumindest im deutschsprachigen Raum in die Kinos kommenden – Filme aus dem Reich der Mitte ist "The Breaking Ice" nämlich nicht nur im Blick auf junge Erwachsene, sondern auch in seiner Erzählweise, die das Lebensgefühl dieser Generation direkt nach außen kehrt und intensiv erfahrbar macht: Nicht nur bildschönes, sondern auch unbekümmertes, vitales und jugendlich frisches Kino.

 

 

The Breaking Ice

China / Singapur 2023

Regie: Anthony Chen

mit: Liu Haoran, Zhou Dongyu, Qu Chuxiao, Wei Ruguang, Liu Baisha

Länge: 97 min.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und demnächst im Skino Schaan.


Trailer zu "The Breaking Ice"



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