Brady Corbet inszeniert die Geschichte eines ungarisch-jüdischen Architekten, der nach Überleben des Holocausts in den USA einen Neustart versucht, als wuchtiges dreieinhalbstündiges Epos: Ein an überwältigenden Bildern reiches, großartig gespieltes und vielschichtiges Meisterwerk.
Schon die Anlage mit einer Ouvertüre, zwei Kapiteln und einem Epilog, die Länge von 215 Minuten inklusive der in den Film integrierten und von einem Countdown begleiteten 15-minütigen Pause und der Dreh im VistaVision-Format der 1950er Jahre verleihen Brady Corbets nach "The Childhood of a Leader" (2015) und "Vox Lux" (2018) drittem Spielfilm einen monumentalen Charakter.
Aus der Enge und dem Dunkel eines Schiffsbauchs ans Licht führt "The Brutalist" mit Öffnen des Decks und spürbar ist die Freude der 1947 in die USA emigrierenden Männer, wenn sie sich innig umarmen. Doch die Freiheitsstatue, die die Immigranten erblicken, ist aus dem Lot, zunächst verkantet, steht dann auf dem Kopf, dann horizontal, aber nie in der gewohnten Vertikalen. Mit diesem Auftakt erhält auch schon die Vorstellung vom "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" Risse und Brüche.
Wie in anderen Immigranten-Filmen wie James Grays "The Immigrant" (2014) führt auch der Weg des ungarisch-jüdischen Architekten László Tóth (Adrien Brody) durch die Einwanderungsstelle von Ellis Island. Ein den ersten Bildern überlagerter, in Ungarisch gehaltener Briefwechsel mit seiner Frau erinnert an die Trennung während des Holocausts und an Kriegstraumata.
Während ihm die Flucht in die USA gelang, wartet Erzsébet (Felicity Jones) mit ihrer Nichte in Europa noch auf die Einreisegenehmigung. Seine psychische Versehrtheit wird spürbar, wenn in schummrigen Gassen beim Sex mit Prostituierten nichts läuft. Bald bricht er von New York zu seinem Cousin Attila (Alessandro Nivola) nach Philadelphia auf.
Nicht nur diese, sondern auch weitere Fahrten filmen Corbet und sein Kameramann Lol Crawley mit frontalem Blick auf die Straße beziehungsweise auf die Eisenbahngleise. Die vorwärtsdrängende Bewegung korrespondiert mit dem Glauben an eine bessere Zukunft, während andererseits für László und seine Frau die traumatische Vergangenheit immer präsent bleiben und ihr Verhalten bestimmen wird. Bis hin zu einer Ausstellung mit dem Titel "The Past is the Presence" am Ende des Films wird "The Brutalist" so auch von der Unmöglichkeit erzählen, der Vergangenheit zu entkommen.
Als Möbelunternehmer hat Lászlós Cousin offensichtlich den Einstieg in die US-Gesellschaft, doch Corbet zeigt auch, welchen Preis dieser Attila dafür gezahlt hat. Denn um in den USA etwas zu gelten, hat er offensichtlich seine frühere Identität völlig ausgelöscht, seinen Namen von Molnar auf Miller geändert, sein Unternehmen "Miller & Sons" genannt, weil Familienunternehmen bei den Amerikanern gut ankommen, und mit der Konversion vom Judentum zum Katholizismus auch die Religion seiner Frau angenommen.
László hat für eine solche Anpassung sichtlich kein Verständnis, sondern der Architekt, der am Bauhaus in Dessau studiert hat und mit modernen, funktionalen Bauten in der Vorkriegszeit sich in Europa einen Namen gemacht hat, will seine Identität bewahren und seinen Weg gehen.
Über einen Auftrag Attilas für die Neugestaltung einer Bibliothek kommt auch László aufs Anwesen des Millionärs Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce). Ist dieser zunächst geschockt von dem von seinem Sohn in Auftrag gegebenen Umbau und wirft Attila und László raus, so ändert er seine Meinung, als der Bau von der Öffentlichkeit entdeckt und in Zeitschriften gefeiert wird.
Er holt László, der inzwischen von einem Job als Hilfsarbeiter auf einer Großbaustelle lebt, zurück. Der visionäre Architekt soll, zu Ehren der verstorbenen Mutter des Millionärs, auf einem Hügel ein Kulturzentrum mit Sporthalle, Bibliothek, Auditorium und Kapelle entwerfen.
Neben der Entlohnung will sich Van Buren auch dafür einsetzen, dass Lászlós Frau und deren Nichte endlich in die USA immigrieren können. Doch als die zwei Frauen eintreffen, werden bald Eheprobleme sichtbar und mit seinem visionären Projekt erregt László auch bald den Widerspruch des Millionärs, der seine Handlanger - auch aus Kostengründen - in die künstlerischen Pläne des Visionärs eingreifen lässt.
Man kann in diesem Eingriff des Geldgebers in das Werk eines Künstlers auch einen Seitenhieb gegen Hollywood und dessen mächtige Produzenten sehen, die seit der Stummfilmzeit immer wieder in Werke großer Regisseure eingriffen, diese kürzen und verstümmeln ließen. Gleichzeitig steht "The Brutalist" in dieser Schilderung eines mächtigen Tycoons aber auch in der Tradition von Filmen wie Orson Welles´ "Citizen Kane" (1941), Paul Thomas Andersons "There Will Be Blood" (2007), während die Architektengeschichte an King Vidors "The Fountainhead" ("Ein Mann wie Sprengstoff", 1948) erinnert.
Großartige Gegenpole bilden Adrien Brody als spürbar immer noch vom Holocaust traumatisierter, aber genialer Architekt und Guy Pearce als aalglatter Millionär, der sich gönnerhaft und freundlich gibt, aber sich im Grunde nur mit der Präsenz des Intellektuellen schmücken und mit dessen Werk sein eigenes Ansehen steigern will. So könnte sich auch der Filmtitel nicht nur auf László mit seinem modernen – brutalistischen - Baustil beziehen, sondern auch auf Van Buren mit seinem dominanten Auftreten.
Verpackt wird dieses Porträt zweier gegensätzlicher Männer wiederum in eine Immigrationsgeschichte, bei der Corbet an Epen wie Elia Kazans "America America" ("Die Unbezwingbaren", 1963) oder den schon genannten "The Immigrant" anknüpft. Da mag der Immigrant zwar nach Außen hin den Aufstieg schaffen, dennoch werden Klassengegensätze, Rassismus und Antisemitismus sichtbar, wenn der alteingesessene Geldadel den Immigrant:innen immer wieder seine Macht demonstriert, sie despektierlich behandelt und herumkommandiert.
Dicht evoziert Corbet dabei die Aufbruchstimmung und den Bauboom der 1950er Jahre, wenn er in die fiktive Handlung Archivaufnahmen, die durch das kleinere Format und die Grobkörnigkeit vom restlichen Film abgehoben werden, einbaut. Wie mit Videoaufnahmen im 1980 spielenden Epilog verstärkt Corbet damit auch den Eindruck von Authentizität.
Gleichzeitig zieht er die Zuschauer:innen immer wieder mit einer sehr beweglichen und sehr nah geführten Handkamera mitten ins Geschehen hinein, während lange ruhige Einstellungen Raum schaffen, um den Konflikten der Figuren Intensität und Tiefe zu verleihen. Für Kontrast zu diesen intimen Szenen sorgen wiederum spektakuläre Totalen beispielsweise einer Großbaustelle sowie von Lászlós Bauprojekt oder des Marmorsteinbruchs im italienischen Carrara.
Durch diese Bilder baut "The Brutalist" die vielfach mit diesem Epos apostrophierte Monumentalität auf. Zentral ist aber auch die eigenwillige und aufregende Musik von Daniel Blumberg, mit der der Film von der Ankunft in den USA an bis zum Ende immer wieder dramatisch aufgeladen und überhöht wird.
Großartig versteht es Corbet aber auch das mitreißende Amerika-Bild mit einer bewegenden privaten Geschichte zu verknüpfen. Denn mit der Ankunft von Erzsébet kommt auch eine bewegende Ehegeschichte ins Spiel, bei der die lebenslangen Nachwirkungen des Holocaust spürbar werden. Wie sehr László diese Erfahrungen geprägt haben, wird freilich erst im Epilog gelüftet, wenn die tiefere Bedeutung seines größten Bauprojekts schlüssig vor Augen geführt wird.
The Brutalist
USA / Ungarn / Großbritannien 2024
Regie: Brady Corbet
mit: Adrien Brody, Felicity Jones, Guy Pearce, Joe Alwyn, Raffey Cassidy, Stacy Martin, Alessandro Nivola, Emma Laird, Isaach de Bankolé
Länge: 215 min. (inlusive 15-minütiger Pause)
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im GUK Kino Feldkirch, im Cinema Dornbirn und im Skino Schaan.
Trailer zu "The Brutalist"
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