Als bei der in China lebenden Großmutter eine tödliche Krebserkrankung festgestellt wird, reist die über die USA und Japan verstreute Familie an, um Abschied zu nehmen. Der Betroffenen soll aber ihr Gesundheitszustand verschwiegen werden. – Mit ebenso genauem wie empathischem Blick und natürlichen Schauspielern gelang Lulu Wang trotz des schweren Themas eine federleichte und von feinem Humor durchzogene, bittersüße Tragikomödie.
Ein Insert "Basierend auf einer wahren Lüge" leitet Lulu Wangs zweiten Spielfilm ein. Kein Scherz ist dies, sondern tatsächlich beruht "The Farewell auf persönlichen Erfahrungen der 36-jährigen Regisseurin, die wie ihre Protagonistin Billi in China geboren wurde, aber schon im Kindesalter mit ihrer Familie in die USA emigrierte.
Wie Billi im Film, aus deren Perspektive Wang erzählt, erhielt Wang vor wenigen Jahren die Nachricht, dass ihre geliebte Großmutter in China todkrank sei, die Familie sie nochmals besuchen werde, ihr aber verschweigen wolle, dass sie nur noch wenige Monate zu leben habe.
Das Herzstück des Films sind so die etwa 30-jährige Billi, die in New York mit wenig Erfolg als Schriftstellerin und Filmemacherin arbeitet, und die geliebte Großmutter Nai Nai. Schon in der ersten Szene verbindet sie Wang durch ein Telefonat und macht ihre enge Beziehung spürbar, bringt aber gleichzeitig auch das kulturelle Spannungsfeld von China und New York ins Spiel.
Wenig Verständnis hat Billi dafür, dass die Familie der Großmutter verschweigen will, dass sie Lungenkrebs im Endstadium habe. Während die Familie nach chinesischer Sitte Nai Nai nicht ängstigen möchte, ist Billi der Ansicht, dass man ihr die Wahrheit sagen müsse, damit sie sich auf den Abschied und den Tod vorbereiten könne.
Damit der Besuch des einen Zweigs der Familie aus den USA und des anderen aus Japan nicht auffällt, wird als Vorwand kurzerhand eine Hochzeit von Billis in Japan lebendem Cousin mit seiner Freundin, die er aber erst seit drei Monaten kennt, organisiert.
Ganz auf die Familie fokussiert Wang, deckt unterschiedliche kulturelle Vorstellungen, aber auch unterschiedliche Sichtweisen der Generationen aus. Aus Hochzeitsfilmen wie Mira Nairs „Monsoon Wedding“ kennt man solche Szenarien, ziemlich ungewöhnlich ist freilich, dass hier ein nahender Tod im Mittelpunkt steht.
Man spürt in jeder Szene, wie vertraut Wang mit den Situationen ist. Echt und unverfälscht wirkt ihr Blick, genau lotet sie die familiären Beziehungen aus und verankert die Handlung in einem präzise eingefangenen Milieu. Jeder Wertung enthält sie sich, erzählt voll Empathie für alle Figuren und feiner Humor sorgt dafür, dass diese bittersüße Tragikomödie trotz des ernsten Themas nie niederschmetternd wird, sondern immer Leichtigkeit bewahrt.
Auf große dramatische oder komödiantische Szenen kann Wang dabei getrost verzichten, ihr Film gewinnt aus der unaufgeregten, aber genauen Beobachtung der Beziehungen seine Kraft und seine zauberhafte Ausstrahlung. Zu verdanken ist dies freilich auch einem großartigen Ensemble aus noch unbekannten und unverbrauchten Schauspielern. Da sieht man eben nicht Stars, sondern glaubt realen Menschen zuzusehen und speziell der Rapperin Awkwafina und Shuzhen Zhao gelingt es Billi und der Großmutter Profil und Tiefe zu verleihen.
Aber nicht nur um den Abschied von der Großmutter geht es hier, sondern durch die Begegnung verändert sich auch die Enkelin, die am Beginn in New York entwurzelt und verloren wirkte. Prägnant kommt diese Unsicherheit in einer Szene zum Ausdruck, in der sie mit ihrer Großmutter im Hof Atemübungen macht, aber dabei nur einen sehr schwaches "Ha" auszustoßen vermag. Dem gegenüber steht am Ende in New York ein starker und befreiender Schrei, mit dem Billi einen Vogelschwarm zum Auffliegen bringt. Aber auch die finale Wendung dieses zauberhaft leichten und in seiner Menschlichkeit und Feinfühligkeit bewegenden Films hat es in sich.
Kinok St. Gallen
Spielboden Dornbirn: 15.2. + 22.2. - jeweils 19.30 Uhr
Leinwandlounge in der Remise Bludenz: 1.4., 19 Uhr
Trailer zu "The Farewell"
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