Zwei Frauen befehden sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit Intrigen, Schmeichelei und Eifersucht um den Einfluss bei der schwachen und kränklichen englischen Königin Anne. - In seinem ersten, soeben für 10 Oscars nominierten historischen Film seziert Yorgos Lanthimos messerscharf und mit bissigem Witz Ränkespiele am Hof und verknüpft egoistische Interessen mit politischen Entscheidungen.
Am Hof von Königin Anne (Olivia Colman) kümmert sich Sarah (Rachel Weisz), Herzogin von Marlborough, um alles. Hilflos wirkt die Königin, die meist im Rollstuhl sitzt und sich um ihre 17 Kaninchen kümmert. Ein tragisches Schicksal verbirgt sich freilich hinter den Tieren, stehen sie doch für ihre 17 Kinder, die während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt verstarben.
Sarah jedenfalls schmeißt den Laden, verwöhnt die Regentin nicht nur im Bett, sondern schreibt auch ihre Parlamentsreden und gibt vor, wie die Königin in politischen Angelegenheiten zu entscheiden hat. England kämpft nämlich gerade im Spanischen Erbfolgekrieg (1701 – 1714) gegen Frankreich und Sarahs Mann ist der oberste Befehlshaber der britischen Truppen.
Wie die Königin Sarahs Marionette ist, hat sie auch in dem Schatzmeister Godolphin einen willfährigen Lakaien, der sich mehr für Entenrennen als für Politik interessiert. Den oppositionellen Torys ist der Krieg freilich ein Dorn im Auge, denn er belastet zunehmend die Grundbesitzer, doch ihr Anführer Harley findet kein Gehör bei der Königin.
In Bewegung kommen die Dinge in der in acht Kapitel gegliederten bissigen Farce, für die Lanthimos erstmals nicht selbst das Drehbuch geschrieben hat, als Sarahs Cousine Abigail (Emma Stone) an den Hof kommt. Im wahrsten Sinne des Wortes von ganz unten kommt sie, stammt zwar aus vornehmem Haus, wurde aber von ihrem Vater aufgrund von Spielschulden als 15-Jährige an einen Deutschen verkauft.
Mit dem Gesicht im Matsch landet sie, als sie mit einem Fußtritt aus der Kutsche geworfen wird. Mit verdrecktem Gesicht stellt sie sich Sarah vor, bekommt einen Job als Dienstmagd, aber bald ist klar, dass sie aufsteigen will. Mit Kräutern gegen die entzündeten Beine der Königin macht sie zunächst auf sich aufmerksam, steigt bald zur Kammerzofe der Königin auf und wird Sarah bald auch im Bett der Königin ablösen und versuchen sie vom Hof zu vertreiben.
Ein herrlich böses, bissig intrigantes Spiel um die Gunst der Königin entwickelt Lanthimos, der mit «The Favourite» zweifellos seinen bislang zugänglichsten Film geschaffen hat. Immer noch ist sein Blick auf die Welt kalt und unbarmherzig. Gleißendes weißes Licht flutet durch die Fenster, in Kerzenlicht getaucht sind Nachtszenen, die Dialoge sind messerscharf, die Inszenierung trocken und dicht und für Sehgenuss sorgen auch die gewohnt großartigen Kostüme von Sandy Powell.
Immer noch sorgt der Grieche, der schon mit seinem Debüt «Dogtooth» und in «The Lobster» mit dem kühlen Blick eines Verhaltensforschers eine Gesellschaft, menschliche Verhaltensweisen und Machtstrukturen sezierte, für kleine Irritationen.
Einen ungewöhnlichen Look erhält dieser Kostümfilm schon durch den Dreh auf 35mm, der für größere Körnigkeit sorgt, dazu kommen die schon aus «The Killing of a Sacred Deer» bekannten Fischauge-Einstellungen, durch die die Räume perspektivisch verzerrt und die Figuren darin eingesperrt werden, oder die Überlappung von Szenen sowie kurze Rückblenden. Ungewöhnlich ist auch die variantenreiche Musik, die sich von Kammermusik von Händel bis zu modernen, sich monoton wiederholenden metallenen Klängen spannt.
Im Zentrum steht aber ein fulminant aufspielendes Schauspielerinnen-Trio. Hinreißend ist es zuzusehen, wie sich Rachel Weisz, die schon in «The Lobster» spielte, und Emma Stone befehden, wie hier unterschwellig oder ganz offen gedroht wird, bald eine Pistole abgefeuert wird, die allerdings nicht geladen war, bald ein ungesundes Kraut in einen Tee gemischt wird.
Gehören zuerst die Sympathien der scheinbar schwachen Abigail, wendet sich langsam das Blatt und man hat fast Mitleid mit Sarah, der von der gerissenen Abigail übel mitgespielt wird. So sehr freilich alle nur an sich denken, man kann sie doch verstehen in ihrem Kampf ums Überleben und eine möglichst gute und einflussreiche Position.
So facettenreich Stone und Weisz auch ihre Figuren spielen, die Königin des Films ist doch im doppelten Sinn des Wortes Olivia Coleman. Die 45jährige Britin schafft es eindringlich und bewegend die Tragik hinter dieser schwachen und körperlich angeschlagenen Queen Anne zu vermitteln.
Abigail, die sich an die Königin wie Anne Baxter an den Schauspielstar Bette Davis in Joseph Mankiewicz Klassiker «All About Eve» ranhaut, weiß genau, welche Mittel sie einsetzen muss, um die Gunst der Königin zu erschleichen und Sarah von ihrer Position zu verdrängen. Letztere mag zunächst noch allmächtig scheinen, wenn die Kamera sie aus der Position der liegenden Königin in Froschperspektiv endlos groß erscheinen lässt, aber die Verhältnisse werden sich eben ändern.
Da sehen dann auch die Männer, die mit ihren weiß geschminkten Gesichtern wie Leichen aussehen, ihre Chance gekommen, speziell der Oppositionsführer Harley, der über Abigail an die Königin heranzukommen hofft. Er mag sie am Beginn noch in einen Graben werfen, aber bald wird sie ihm klarmachen, dass sie nur auf ihrer Seite steht – und zwar ausnahmslos. Selbst in der Hochzeitsnacht wird sie so nur Pläne für die Behauptung ihrer Position schmieden und den Frischangetrauten nebenbei mit der Hand befriedigen.
Ein Unterschied zu klassischen Kostümfilmen, der «The Favourite» Frische verleiht, liegt auch in der Sprache. Da spielt die Handlung zwar am Königshof und meist wird vornehm gesprochen, doch dazwischen nimmt man sich auch öfters kein Blatt vor den Mund und schreckt vor derben Ausdrücken nicht zurück.
Mit sichtlichem Vergnügen, das ansteckend wirkt, nimmt Lanthimos nicht nur diese dekadente Gesellschaft, sondern selbstverständlich auch zeitlose Charaktereigenschaften aufs Korn: Karrieristen, Schleimer und Heuchler bekommen hier ihr Fett ab, die Königin, die sich als Spielball anderer verliert, kann da zwar am Ende ihre Macht demonstrieren, doch auch in diesem Moment ist sie alles andere als glücklich. Der Kaninchenstall, mit dem Lanthimos in seiner brillanten Farce den Königshof gleichsetzt, lässt sie - und mit ihr den Zuschauer - nämlich nie den großen Schmerz ihres Lebens vergessen.
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