Ein Syrer lässt seinen Rücken von einem Künstler tätowieren, um als Kunstwerk nach Europa reisen zu können, doch der Teufelspakt hat seinen Preis. – Der Tunesierin Kaouther Ben Hania gelang nicht nur eine bissige Satire auf den Kunstbetrieb, sondern sie thematisiert auch Flüchtlingselend und Fragen der Menschenwürde.
Scharfe Gegensätze prallen aufeinander, wenn Kaouther Ben Hania von einer gleißend weißen Galerie, in der Männer mit weißen Hemden und schwarzer Krawatte ein Bild aufhängen abrupt in ein dunkles Zimmer springt, in dem ein junger Mann (Yahya Mahayni) vom Klopfen geweckt, abgeführt und in eine noch dunklere, überfüllte Gefängniszelle geworfen wird.
Ein Insert verortet die zweite Szene in Syrien zur Zeit des beginnenden Bürgerkriegs im Jahr 2011. Eine Rückblende informiert über den Grund der Verhaftung Sam Alis: Als seine Geliebte Abeer (Dea Liane) ihm in einem voll besetzten Zug ihre Liebe gestand, konnte er sich nicht mehr beherrschen und rief laut "Es lebe die Freiheit und die Revolution!"
Mit Unterstützung eines Wärters entkommt er zwar bald aus der Haft, doch die aus vornehmem Haus stammende Abeer wird inzwischen mit einem regierungstreuen Diplomaten verheiratet, mit dem sie bald nach Brüssel migriert. Auch Sam fühlt sich nicht mehr sicher in seiner Heimat, flieht in den Libanon, wo er mit einem Kollegen versucht, sich bei Vernissagen am Buffet den Magen vollzuschlagen. Unerreichbar scheint aber sein Ziel einer Reise zu Abeer nach Brüssel, bis der provokative Künstler Jeffrey Godefroy (Koen de Bouw) ihn entdeckt und ihm anbietet seinen Rücken zu tätowieren und ihn so zum Kunstwerk zu machen, das – im Gegensatz zu Menschen - problemlos um die Welt reisen kann.
Rasch geschlossen ist dieser Teufelspakt und auch Godefroy selbst erklärt sich zum Mephisto, doch bald muss Sam auch den Preis dafür bezahlen. Zwar kommt er mit einem Schengen-Visum auf seinem Rücken nach Brüssel, wo er in einem Fünf-Sterne-Hotel logiert, muss aber nun als Kunstwerk während der Öffnungszeiten im Museum auf einem Podest sitzen und sich von Besucher*innen bestaunen lassen.
Gegen Geld lässt er sich so vom Menschen zum Objekt degradieren und an einen Sklavenmarkt erinnert eine Auktion, bei der Sam bzw. sein tätowierter Rücken versteigert wird. Glücklich macht ihn das neue Leben aber nicht, denn auch einer Wiederbelebung der Beziehung zu Abeer scheint ihr Ehemann im Weg zu stehen.
Nicht erfunden hat die Tunesierin Kaouther Ben Hania die Geschichte vom lebendigen Kunstwerk, sondern sie ließ sich vom Schweizer Tim Steiner, der 2006 seinen Rücken gegen prozentuale Beteiligung an den Einnahmen dem belgischen Künstler Wim Delvoye zur Tätowierung verkaufte, inspirieren. Nur leicht überzeichnet ist ihr Blick auf den Kunstbetrieb dabei und gewinnt allein schon durch die klinisch sauberen und von kaltem Weiß dominierten Galerien sowie einen Versicherungsagenten und die von Monica Bellucci hinreißend gespielte Assistentin des Künstlers satirischen Biss.
Volle Schlagkraft entwickelt "The Man Who Sold His Skin" aber erst durch das Spannungsfeld von Flüchtlingsnot und Überlebenskampf auf der einen Seite und dem abgehobenen Kunstbetrieb und dem Geschäft, das mit den Schwachen gemacht wird, auf der anderen. Um den Wert oder vielmehr die unterschiedliche Wertigkeit von Menschen geht es hier immer wieder und Ben Hania wirft auch die Frage auf, ob es denn zulässig ist, dass sich Sam, um in die westliche Wohlstandswelt zu kommen, freiwillig ausbeuten lässt.
Mit der Beziehung zu Abeer kommt auch noch Romantik und das Spannungsfeld von Vernunftehe und wahrer Liebe ins Spiel, während in einem Skype-Telefonat mit Sams Mutter in Syrien auch knapp, aber eindringlich an die Schrecken des Bürgerkriegs erinnert wird.
Ben Hania versteht es, unterstützt von einem starken Ensemble, die Handlung zügig voranzutreiben und vor allem im Finale mit mehreren überraschenden Wendungen, den satirischen Biss noch zu verstärken. – Großes Vergnügen bereitet so diese Abrechnung mit dem Kunstbetrieb, die sich hinter Ruben Östlunds Palmen gekrönter und Oscar nominierter Kunstmarkt-Satire "The Square" nicht verstecken muss.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino in Schaan.
Trailer zu "The Man Who Sold His Skin"
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