Nicht als Spektakelkino, sondern elegisch erzählt George Clooney in seinem Science-Fiction-Film vom Ende der Welt. Visuell großartige Weltraumbilder und Polarszenen evozieren dicht eine Atmosphäre der Verlorenheit, sentimental ist aber das Finale.
Alles ist im Grunde schon vorüber, wenn die 2049 angesiedelte Netflix-Produktion beginnt, die derzeit in den (noch offenen) Schweizer Kinos läuft und ab 23. Dezember beim Streaming-Giganten zu sehen sein wird. Ein Insert weist darauf hin, dass die Handlung "drei Wochen nach dem Ereignis" spielt. Nie wird erklärt, was passiert ist, annehmen kann man eine Umweltkatastrophe. Fakt ist, dass der Wissenschaftler Augustine (George Clooney), der im Gegensatz zu seinen Kollegen eine Evakuierung von einer Sternwarte am Polarkreis ablehnte, scheinbar der einzige Überlebende ist.
Als Augustine entdeckt, dass nur noch eine Raumstation sendet, die vor zwei Jahren die Erde verließ, um Lebens- und Siedlungsmöglichkeiten auf einem neu entdeckten Jupitermond zu prüfen, bricht er zu einer Wetterstation auf, die einen stärkeren Sender hat. Von dort aus will er die fünfköpfige Crew des Raumschiffs vor einer Rückkehr zur Erde warnen. Begleitet wird er bei dieser Reise durch die Eiswüste von einem stummen, etwa siebenjährigen Mädchen, das plötzlich in der Sternwarte auftaucht. Parallel dazu erzählt Clooney vom Rückflug der Raumstation vom Jupitermond zur Erde.
Der endlos weiten, sturmgepeitschten Eiswüste, in der sich der Mensch nicht nur verliert, sondern zeitweise fast verschwindet, steht die Weite des Weltraums gegenüber. Auf Action verzichtet George Clooney, der hier ganz gegen sein Sunnyboy- und Nespresso-Image einen bärtigen alten und todkranken Wissenschaftler spielt, zumindest in der ersten Stunde weitgehend. Vielmehr orientiert sich der US-Star bei seiner siebten Regiearbeit an Steven Soderberghs "Solaris" einerseits und Alfonso Cuaróns "Gravity". Wie in diesen Filmen steht auch hier die Evokation einer dichten Atmosphäre der Ausgeliefertheit, der Verlorenheit und Einsamkeit im Zentrum.
Entschieden für die große Kinoleinwand und nicht für einen TV-Bildschirm ist dieser Film mit seiner Bildkraft und seinen Totalen konzipiert, nur dort kann er seine Wirkung voll entfalten. Wie die Eiswüste von Weiß und Grau bestimmt wird, so bestimmt die Weltraumszenen das Weißgrau des klinisch sauberen und sterilen Ambientes des Raumschiffs. Erst langsam schleichen sich in diese ruhige Schilderung mit einer im Eiswasser versinkenden Hütte auf der Erde oder einem Meteoritenhagel im Weltraum Actionszenen in die Handlung ein. Auch ein fast schon obligater Weltraumspaziergang, um durch die Meteoriten verursachte Schäden zu reparieren, darf hier nicht fehlen.
Wie Bilder (Kamera: Martin Ruhe) und Ausstattung (Jim Bissell) State of the Art sind und begeistern, so sorgt diese Reparaturszene nicht nur für einen poetischen Moment, sondern durch die musikalische Kommentierung mit Neil Diamonds "Sweet Caroline" für wenige Minuten des schwerelosen Glücks. Gleichzeitig ist freilich dabei stets zu ahnen ist, dass die Stimmung kippen und Gefahr losbrechen wird. Dem Film quasi voraus ist der Zuschauer nicht nur in diesen Szenen, dennoch gelingt es Clooney meisterhaft, langsam köchelnd die Spannung sukzessive zu steigern.
"The Midnight Sky" ist das komplette Gegenstück zu den Action-Spektakeln eines Roland Emmerich. Weder sieht man die Zerstörung der Erde noch irgendein Bild der zerstörten Zivilisation. Ein Blick aus dem Weltraum auf den nun alles andere als blauen Planeten, den Kubrick in "2001" so majestätisch feierte, reicht aus. Nachhaltiger als jeder Bombast wirkt dieses im Grunde einfache Bild und macht dieses postapokalyptische Drama zur großen Klage über die Zerstörung der Welt und zur eindringlichen Mahnung an die Menschheit diese abzuwenden.
Auch wenn dabei nie von Klimawandel und Klimakatastrophe die Rede ist, kann man diese als Ursache mitdenken. Im Gegensatz zu den üblichen Weltuntergangsszenarien Hollywoods, gibt es hier auch am Ende keine Hoffnung, dass alles wieder gut ist, vielmehr fühlt man sich an die Arche Noah oder auch an das mythologische Geschwisterpaar Deukalion und Pyrrha erinnert.
So überzeugend dieser meditative Film aber auch auf der visuellen Ebene und in der Evokation der Atmosphäre ist, so entbehrlich ist die Liebesgeschichte, in die Clooney mit kurzen Erinnerungen Augustines an eine gescheiterte Beziehung bruchstückhaft Einblick bietet. Geschickt vorbereitet wird damit freilich das Finale, das dann allerdings auch extrem konstruiert und sehr sentimental ausfällt. Andererseits verleiht diese Backstory "The Midnight Sky", der im Grunde ein Kammerspiel ist, das an zwei Schauplätzen – der Arktis und dem Raumschiff – spielt und – von den Erinnerungen abgesehen - mit zwei Personen auf der Erde und fünf im Raumschiff auskommt, einen Human Touch.
Dennoch kommt dieses postapokalyptische Science-Fiction-Drama wohl zum unpassendsten Zeitpunkt in die Kinos und via Netflix auf die Bildschirme: Gering dürfte nämlich in Zeiten von zahlreichen Einschränkungen durch Corona das Interesse an einem so pessimistischen und elegischen Film sein.
Läuft derzeit in den (noch offenen) Schweizer Kinos - z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino in Schaan
Trailer zu "The Midnight Sky"
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