Nach seinem Kammerspiel "The Lighthouse" legt Robert Eggers ein bildmächtiges Wikinger-Epos um Verlust und Rache vor, das im Kern die Geschichte von Hamlet erzählt: Eine rohe und blutdurchtränkte Schlachtenplatte, die toxische Männlichkeit ebenso zelebriert wie kritisiert.
Übers graue, sturmgepeitschte Meer nähert sich Wikingerkönig Aurvandil (Ethan Hawke) laut Insert im Jahr 895 seiner Heimat, umarmt seine Frau (Nicole Kidman) und seinen zehnjährigen Sohn Amleth. Wenig später wird Aurvandil aber von seinem Halbbruder Fjölnir (Claes Bang) ermordet, während Amleth entkommen kann und schwört, den Vater zu rächen, die Mutter zu befreien, den Onkel zu töten.
Im Kern ist das die Geschichte von Shakespeares Drama Hamlet, doch Eggers, der als Grundlage die um 1200 vom dänischen Geistlichen Saxo Grammaticus auf Lateinisch verfasste 16-bändige "Gesta Danorum" verwendete, lässt seinen Film nicht am dänischen Königshof, sondern in weiten Landschaften und in archaisch bäuerlichem und kriegerischem Milieu spielen.
Eggers selbst erklärt, dass sein Interesse für die Welt der Wikinger erst mit einer Islandreise 2015 erwacht sei. Dem romantischen Anstrich bisheriger Wikingerfilme von "Raubzug der Wikinger -The Long Ships" bis zur Fernsehserie "The Vikings" wollte er einen authentischen Film entgegensetzen. Ausführlich recherchierte er deshalb und lässt mit detailreicher Ausstattung und Blick für Rituale und Alltag in diese rohe Welt eintauchen.
Den nach der Ermordung seines Vaters geflohenen Amleth lässt der 39-jährige Amerikaner nach einem Schnitt als Erwachsenen (Alexander Skarsgård) als Teil einer Truppe marodierender Wikinger durch die osteuropäischen Flussgebiete des "Lands der Rus" ziehen. Als Amleth mit seinen Männern dort ein Dorf plündert, erinnert ihn eine Seherin (Björk) an seinen schon fast vergessenen Racheschwur. Deshalb mischt er sich unter die versklavte Bevölkerung, um nach Island und an Fjölnir verkauft zu werden, der sich dorthin zurückgezogen hat, nachdem er aus seinem Königreich vertrieben wurde. Auf dem abgelegenen Gehöft Fjönirs schmiedet Amleth bald seine Rachepläne und wird dabei von der blonden Sklavin Olga (Anya Taylor-Joy) unterstützt.
Wie schon mit "The Lighthouse" legt Robert Eggers auch mit "The Northman" ein düsteres und archaisches Drama vor. Enorme Wucht entwickeln die großen Landschaftstotalen, in denen Grautöne, Wolken verhangener Himmel und Schneefall bedrückende Stimmung verbreiten. Auch in den Innenszenen, die nur von Lagerfeuern erhellt sind, kommt hier kaum Wärme auf. Verstärkt wird diese Evokation einer finsteren Welt durch die Rohheit der Menschen. Nicht nur Fellkleidung und Fellkappen sowie die nackten Oberkörper lassen sie wie Tiere erscheinen, sondern sie heulen auch immer wieder mit den Wölfen und tragen Zweitnamen wie "Bärenwolf" und "Kriegsrabe".
Dazu kommt die Schilderung von Opferriten, Begräbnisfeiern bis zu dem brutalen an Rugby erinnernden Ballspiel Knattleikr. Fern sind in dieser Welt Menschlichkeit, Empathie und Nächstenliebe, Hass und der Gedanke an Rache sind die einzigen Triebfedern des Handelns. Und wie schon in der Anrufung des Gottes Odins am Beginn so kommt auch mit dem Auftritt der Seherin der Gedanke ins Spiel, dass man seinem Schicksal nicht entkommen kann und Amleth seine Rache zwingend vollziehen muss.
Toxische Männlichkeit zelebriert Eggers mit diesen Kämpfern, die brutal plündern, brandschatzen und Morden. Reihenweise abgeschlachtet werden hier die Menschen mit Äxten und Schwertern, Blut spritzt und Köpfe rollen, doch wird dieser Männlichkeit mit Amleths Mutter und Olga auch eine Weiblichkeit gegenübergestellt, die mehr auf magische Kräfte vertraut.
Keineswegs ungebrochen feiert Eggers so seinen Nordmann Amleth, sondern zeichnet ihn vielmehr als vom Hass Getriebenen, der sich schließlich davon befreien will, von einer Familie träumt, aber eben nicht frei entscheiden kann, sondern das Schicksal erfüllen muss.
Von "Conan der Barbar" scheint diese blutige Schlachtenplatte ebenso inspiriert wie der finale Kampf, den Eggers wie ein Schattenspiel vor Lavaströmen inszeniert, von Zack Znyders "300". Andererseits erinnern die Träume Amleths vom Lebensbaum an Darren Aronofskys "The Fountain". Bewundern muss man zweifellos die Bildmacht dieses Films, zu der nicht nur die fantastische Landschaft Islands, sondern auch die spektakuläre Visionen bis hin zu einem von einer Walküre angeführten Ritt in die Walhalla beitragen.
Sog entwickelt dieses Rachedrama aber auch durch die extrem physische und von sichtlicher Inbrunst getragene wuchtige Inszenierung, die durch die dunkle, von Trommelklängen dominierte Musik von Robin Carolan und Sebastian Gainsborough noch gesteigert wird, und das körperbetonte Spiel der Schauspieler. Andererseits sind aber deren Hang zum Overacting und die vielfach pathetischen Dialoge und markigen Sätze, die die Klischeebilder dieser archaischen Männerwelt bis ins Lächerliche verstärken, schwer zu ertragen.
Und schließlich ist bei aller Bildmacht und wuchtigen Erzählweise doch auch nicht zu übersehen, dass im Grunde eine ziemlich simple Rachegeschichte wie man sie aus vielen Western von Henry Kings "Bravados" bis zu Sergio Leones "Spiel mir das Lied vom Tod" oder auch aus Ridley Scotts "Gladiator" kennt, erzählt wird.
Schwer tut man sich aber auch, sich in das Verhalten dieser archaischen Typen, die abgesehen von Amleth nicht differenzierter gezeichnet werden, hineinzuversetzen und Relevanz für die Gegenwart zu erkennen. Gleichzeitig hat freilich auch der Blick auf die Differenz zwischen dieser rohen Wikingerwelt und der Moderne seinen Reiz.
The Northman Großbritannien / USA 2022 Regie: Robert Eggers mit: Alexander Skarsgård, Claes Bang, Nicole Kidman, Anya Taylor-Joy, Ethan Hawke, Willem Dafoe, Björk Länge: 137 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cineplexx Hohenems
Trailer zu "The Northman"
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