Während in einer heruntergekommenen nordenglischen Bergarbeiterstadt die alteingesessene Bevölkerung 2016 auf eintreffende syrische Flüchtlinge großteils abweisend reagiert, setzt der Pub-Besitzer auf Zusammenhalt. – Noch einmal rechnet Ken Loach mit Rassismus ab und feiert Solidarität und Mitmenschlichkeit.
Mit dem Insert "Nordengland 2016" wird die Handlung zeitlich und örtlich verankert. Zu schwarzweißen Fotos von ankommenden syrischen Flüchtlingen hört man auf der Tonspur rassistische Kommentare der einheimischen Bevölkerung. Die Fotos gehen in die farbige Filmhandlung über, als die Syrerin Yara (Elba Mari) auf dem Weg vom Bus zu ihrer neuen Unterkunft angepöbelt und ihr Fotoapparat beschädigt wird. Nur der Pub-Besitzer TJ Ballantyne (Dave Turner) ergreift für sie Partei, wehrt den Rassisten ab, hebt ihre Kamera auf und begleitet sie zur Tür.
Nicht nur die zwei zentralen Personen sind damit eingeführt, sondern Loach beweist auch gleich, wie er mit starken Gegensätzen Emotionen schüren kann. Mit wenigen Bildern schafft er zudem ein dichtes Milieu und – auch dank der unverbrauchten Schauspieler:innen und ihrem Slang – authentische Charaktere.
Aufgrund des Niedergangs des Bergbaus haben viele Bewohner:innen die Kleinstadt verlassen. Weil deshalb die Wohnungen billig sind, werden hier Flüchtlinge untergebracht, andere Häuser kaufen wiederum internationale Investoren zu einem Spottpreis. Gewohnt knapp, aber prägnant vermitteln Loach und sein langjähriger Drehbuchautor Paul Laverty den sozioökonomischen Hintergrund.
Der Gemeindesaal ist längst geschlossen, einziger Treffpunkt der noch geblieben ist, ist TJs Pub "The Old Oak", bei dem freilich das lädierte Schild auch von den schwierigen Zeiten kündet. Bald taucht hier Yara mit ihrem beschädigten Fotoapparat auf. Weil TJ im Hinterzimmer alte Fotoapparate hat, führt er sie dorthin, wo zahlreiche Fotos von der einstigen Blüte der Bergarbeiterstadt und dem großen Streik von 1984 künden.
Ein prägendes Ereignis war dieser letztlich erfolglose Widerstand gegen Margaret Thatchers neoliberale Politik im Leben Loachs. Schon 1984 drehte er den Dokumentarfilm "Which Side Are You On?" darüber und quer durch sein Werk zieht sich diese Frage. Denn immer wieder stellte der britische Sozialrealist sich auf die Seite der Schwachen und bezog entschieden Stellung gegen Ausbeutung und Demütigung.
Vom Bergarbeiterstreik und den damaligen Gemeinschaftsküchen, von denen Fotos und die Bildunterschrift "Wer zusammen isst, hält zusammen" zeugen, schlägt Loach den Bogen zur heutigen Flüchtlingssituation. Denn er lässt Yara in diesem Hinterzimmer mit migrantischen und einheimischen Helfer:innen einen Speisesaal nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für in prekären Verhältnissen lebende einheimische Kinder und Jugendliche einrichten.
Die Flüchtlinge mögen zwar die schwächsten sein, aber Loach zeigt auch, dass auch die Bevölkerung der Kleinstadt zu den Abgehängten der Gesellschaft zählt. Gleichwohl regt sich deren Ärger und Eifersucht, wenn sie sehen, wie den Kindern der Syrer gebrauchte Fahrräder und Kleidung geschenkt werden, sie selbst sich aber kein Fahrrad leisten können. Implizit fragt Loach hier freilich, wie dies in einem reichen Land wie England möglich ist und propagiert die Solidarität dieser Schwachen.
TJs Engagement für die Flüchtlinge erregt aber bei seinen langjährigen Kumpanen und Stammkunden im Pub Unmut. Einst waren sie wohl selbst Gewerkschaftler, nun aber dreschen sie rassistische Phrasen. Wie Loach und Laverty in ihren Diskussionen allzu belehrend Allgemeinplätze verbreiten lässt, so wirkt auch eine Szene in einer Kathedrale, in der Yara den Kulturverlust durch die Zerstörungen des Islamischen Staats betrauert, aufgesetzt und nicht so überzeugend und organisch in die Handlung integriert wie in früheren Filmen.
Zu viel packt der 87-jährige Altmeister hinein, gezwungen wirken teils die Verknüpfungen. Kräftig drückt er auch auf die Tränendrüse mit dem vom Leben gebeutelten TJ, der sich zunehmend für die Flüchtlinge einsetzt, und märchenhaft wirkt auch das Ende. – Doch dessen ist sich Loach wohl durchaus bewusst, will Hoffnung machen und den Glauben an die Kraft der Solidarität schüren, auch wenn er selbst wohl kaum glaubt, dass die gesellschaftlichen Spannungen so leicht überwunden und harmonische Koexistenz so bruchlos erreicht werden können.
Sicher nicht der beste Film von Loach ist "The Old Oak" damit. Zu rührselig und sentimental ist dieses Sozial-Märchen, wenn in einer für Loach seltenen Rückblende sich TJ an einen entscheidenden Moment in seinem Leben erinnert, auch sein kleiner Hund eine wichtige Rolle spielt und mit aggressiven Kampfhunden als Gegner auch das Thema des Films gespiegelt wird oder der alternde Mann auf die Fehler in seinem Leben zurückblickt.
Man vermisst insgesamt auch Schärfe und Biss in der Schilderung der Realität, doch unbestreitbar ist wohl auch, dass der Brite der einzige und letzte ist, der noch so engagierte Filme über und für die Unterschicht macht: Niemand ist hier in Sicht, der in seine Fußspuren treten wird, wenn er mit diesem Film endgültig in den Ruhestand treten sollte.
The Old Oak Großbritannien / Frankreich / Belgien 2023 Regie: Ken Loach mit: Dave Turner, Ebla Mari, Claire Rodgerson, Trevor Fox, Jordan Louis, Chris McGlade, Col Tait, Jordan Louis, Chrissie Robinson, Chris Gotts, Jen Patterson Länge: 114 min.
Läuft derzeit in den österreichischen, deutschen und Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan.
LeinwandLounge in der Remise Bludenz: Mi 20.3. 2024, 19 Uhr
Trailer zu "The Old Oak"
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