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AutorenbildWalter Gasperi

The Room Next Door

Eine krebskranke Frau, die nicht langsam an ihrer Krankheit sterben, sondern selbst über ihren Tod entscheiden will, bittet eine Freundin sie auf ihrem letzten Weg zu begleiten: Julianne Moore und Tilda Swinton brillieren in Pedro Almodóvars zurückhaltend inszeniertem, aber bewegendem Sterbehilfedrama, das beim Filmfestival von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde.


Aus der Vogelperspektive erfasst die Kamera das Cover des neuen Buches von Ingrid (Julianne Moore), in dem sie sich mit dem Sterben auseinandersetzt. Der kräftige rote Kreis und das blaue Quadrat stimmen schon auf die für die Filme Pedro Almodóvars typische Farbgestaltung ein. Bei kaum einem anderen Regisseur haben Farben diese Präsenz und so werden auch hier leuchtend rote und grüne Pullover, ein gelbes Kleid, aber auch die intensiven Farben der Arbeitsplatten einer Küche und der restlichen Ausstattung "The Room Next Door" visuell den Stempel aufdrücken und ihn zu einem unverkennbaren Film des 75-jährigen Spaniers machen.


Erstmals hat Almodóvar nach den Kurzfilmen "The Human Voice" (2020) und "Strange Way to Live" (2023) aber einen langen Spielfilm nicht in Spanisch, sondern in Englisch gedreht. Wie Sigrid Nunez´ 2020 erschienener Roman "Was fehlt dir?", der als Vorlage diente, spielt auch sein Film in New York.


Bei einer Lesung begegnet Ingrid einer früheren Freundin, die ihr erzählt, dass die gemeinsame Bekannte Martha (Tilda Swinton) unheilbar an Krebs erkrankt ist. Jahrelang haben sich die beiden Frauen nicht gesehen, doch als Ingrid die ehemalige Kriegskorrespondentin im Krankenhaus besucht, stellt sich bald wieder die alte Nähe ein. Während man von Ingrid praktisch nichts erfährt, erzählt Martha über ihre schwierige Beziehung zu ihrer Tochter, die einer Jugendliebe entsprang, ebenso wie über einen Einsatz im Irak.


Bei den Besuchen im Krankenhaus und Marthas exklusiver Wohnung in Manhattan spricht man über das Leben, gemeinsame Bekannte und auch den Tod und Martha bittet schließlich ihre Freundin, sie bei ihrem Abschied, für den sie schon eine Pille im Darknet gekauft hat zu begleiten. Sie soll ihre letzten Wochen oder Tage gemeinsam mit ihr in einem von ihr gewählten Haus verbringen.


Während andere Freundinnen Martha eine Absage erteilten, stimmt Ingrid nach anfänglichem Zögern zu. So geht es von New York hinaus in ein in der Natur liegendes Haus, für das Almodóvar das eine Stunde außerhalb von Madrid liegende Architekturdenkmal Casa Szoke als Drehort diente. Ingrid muss nichts tun, soll „nur“ im Zimmer nebenan sein und schließlich Marthas Tod an der geschlossenen Zimmertür erkennen.


Im Gegensatz zur Komplexität vieler Filme des spanischen Meisterregisseurs ist "The Room Next Door" auffallend geradlinig erzählt. Nur wenige Rückblenden am Beginn unterbrechen die sich geradlinig nach vorwärts entwickelnde Handlung und der Fokus liegt ganz auf den beiden Frauen. Eine große Plattform bietet dieses Melodram so seinen beiden Hauptdarsteller:innen Julianne Moore und Tilda Swinton, denen Raum gelassen wird, um ihren Charakteren Profil zu geben. Dem Zögern und der Unsicherheit Moores steht dabei die Gefasstheit Swintons gegenüber, die zumindest nach außen hin ruhig dem Tod entgegensieht.


Dazu passt auch die zurückhaltende, fast nüchterne Inszenierung. Almodóvar dramatisiert nicht, sondern lässt den Frauen Raum für Gespräche, zeigt nicht die physischen Schmerzen der Krankheit, macht aber deutlich, dass Marthas Konzentrationsfähigkeit zunehmend nachlässt und sie kein Buch mehr lesen kann.


Mit vielfältigen Referenzen macht der zweifache Oscar-Preisträger auch seine Liebe zur Kunst und die Bedeutung der Kunst fürs Leben deutlich. Da spricht Ingrid über ein Bruchprojekt über die britische Malerin Dora Carrington und deren Beziehung zum Essayisten Lytton Stratchey und zu Virginia Woolf und gemeinsam bestaunt man eine Kopie von Edward Hoppers Gemälde "People in the Sun".


Dieses wird nicht nur in den Liegen vor dem Haus zitiert, sondern die ganze von Melancholie durchzogene visuelle Gestaltung des Films ist geprägt vom Werk Hoppers. Zur Farbdramaturgie kommt dabei vor allem das Spiel mit Fensterfronten, in denen sich zunächst in New York die Skyline, dann auf dem Land die Natur leicht spiegelt.  Sehr behutsam und nie aufdringlich, aber mit großer Eleganz ist hier jede Einstellung gestaltet und nicht nur Innen und Außen fließen hier ineinander, sondern signalisiert werden soll damit wohl auch die sich auflösende Grenze zwischen Leben und Tod.


Dazu kommen zahlreiche filmische Referenzen. So schauen die beiden Frauen in einem Kino Roberto Rossellinis "Viaggio in Italia" an und später im Haus auf DVD Buster Keatons "Seven Chances" und Max Ophüls´ "Letter from an Unknown Woman". Die größte Referenz gilt aber zweifellos "The Dead" von James Joyce und dessen Verfilmung von John Huston. Denn während zunächst aus dieser Kurzgeschichte zitiert wird, folgen gegen Ende auch Ausschnitte aus der Verfilmung und der Schneefall an deren Ende wird mit dem Schneefall zunächst in Manhattan und dann im Haus auf dem Land wieder aufgenommen.


So bitter der Tod ist, so feiert Almodóvar mit der formalen Meisterschaft dieses Films doch wieder die Kunst und das Leben und entlässt die Zuschauer:innen nicht niedergeschlagen, sondern trotz allem mit einer Leichtigkeit und beglückt aus diesem bewegenden Kammerspiel.  

 

 

The Room Next Door Spanien / USA 2024 Regie: Pedro Almodóvar mit: Julianne Moore, Tilda Swinton, John Turturro, Alessandro Nivola, Juan Diego Botto Länge: 107 min.



Läuft derzeit in den österreichischen und deutschen Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn und im Kino GUK in Feldkirch, sowie ab 12.12. in den Schweizer Kinos


Trailer zu "The Room Next Door"



 

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