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AutorenbildWalter Gasperi

Thriller, Genre-Hybride und leichthändige Beziehungsgeschichten: Neues südkoreanisches Kino


The Handmaiden - Die Taschendiebin (Park Chan-wook, 2016)

Mit dem Palmen- und Oscar-Erfolg von Bong Joon-hos "Parasite" entdeckte auch ein breites Publikum das südkoreanische Kino, das auf Festivals und im Arthouse-Bereich schon seit der Jahrtausendwende große Beachtung findet. Das Stadtkino Basel widmet dem Filmschaffen des ostasiatischen Landes im Januar und Februar eine Filmreihe.


Ulrich Gregor konnte in seiner 1978 erschienenen "Geschichte des Films" die südkoreanische Filmproduktion noch mit einem Satz als "weitgehend kommerziell und auf die Befriedigung inländischer Bedürfnisse abgestimmt" (1) abtun. Erste Ansätze eines künstlerisch ambitionierten Kinos entwickelten sich erst in den 1980er Jahren. Einzelne Filme von Im Kwon-taek, der heute als der Altmeister des koreanischen Kinos gilt, liefen auf Festivals und Bae Yong-kyuns "Warum Bodhi-Dharma in den Orient aufbrach" (1989) schaffte Anfang der 1990er Jahre sogar den Sprung in die europäischen Programmkinos.


Seit Ende der 1990er Jahre entwickelte sich Korea schließlich zum Kinowirtschaftswunderland Asiens. Nicht zuletzt bedingt durch ein Gesetz, das Kinobetreiber verpflichtete an mindestens 106 Tagen im Jahr koreanische Titel zu spielen, wurden fast 50 Prozent der Einnahmen an den Kinokassen von einheimischen Produktionen eingespielt. 2011 und 2012 konnte mit über 100 Millionen Eintritten die Zuschauerzahl für koreanische Filme gegenüber 2008 vervierfacht werden und dieser Wert konnte bis 2019 (226,7 Millionen Kinoeintritte bei 51% südkoreanischem Marktanteil) gehalten werden.


Ausländische Produktionen inklusive Hollywood bringen es dagegen insgesamt nicht einmal mehr auf 50% der koreanischen Kinobesucher, obwohl das Quotensystem zum Schutz des einheimischen Kinos schon vor einigen Jahren abgeschafft wurde. Und auch die Filmproduktion blüht: 2011 wurden in Korea 216 und 2012 229 Filme produziert. (2)


Das Mainstreamkino richtet sich zwar vor allem ans koreanische Publikum, doch gelang Bong Joon-ho, der schon 2003 mit "Memories of Murder" einen fesselnden Thriller über die Jagd nach einem Serienkiller vorlegte, mit dem Monsterfilm "The Host" (2006), in dem US-Militärs durch die Entsorgung von Giftmüll ein Monster gebären, ebenso wie mit dem Detektivfilm "Mother" (2009) auch der Sprung in die internationalen Kinos.


Diese Erfolge ermöglichten Bong auch die Realisierung des Science-Fiction-Films "Snowpiercer" (2013), der als koreanisch-französisch-amerikanische Koproduktion mit einem Budget von 40 Millionen Dollar gedreht und in 167 Länder verkauft werden konnte. Zu einem noch größeren Erfolg entwickelte sich aber die Gesellschaftssatire "Parasite" (2019), die nicht nur mit der Goldenen Palme und vier Oscars ausgezeichnet wurde, sondern auch ein weltweiter Publikumserfolg wurde. Souverän changiert Bong darin zwischen den Genres und sorgt bald mit schwarzem Humor für Gelächter und dann wieder für Hochspannung.


Gleichzeitig mit dem wirtschaftlichen Aufschwung setzte aber auch eine bis heute anhaltende künstlerische Blüte ein. Park Chan-wook sorgte mit seinem humanistischen Korea-Drama "Joint Security Area" (2000) bei der Berlinale 2001 für Aufsehen, begeisterte die Kritiker mit seinem Thriller "Sympathy for Mr Vengeance" (2002) und wurde für seinen ebenso virtuosen wie brutalen "Oldboy" (2004) in Cannes mit dem "Großen Preis der Jury" ausgezeichnet.


Zu überraschen verstand Park auch mit der in einer psychiatrischen Anstalt spielenden Liebesromanze "I´M a Cyborg, But That´s Ok" (2006), in deren Zentrum eine junge Frau steht, die mehrfach versucht Selbstmord zu begehen, weil sie glaubt ein Roboter zu sein. Mit überbordender Fabulierfreude, inszenatorischem Einfallsreichtum und wildem Wechsel zwischen Romanze und Groteske, Familiengeschichte und Gewaltexzessen ebenso wie von Realität, Rückblenden und Vorstellungen erzählt Park von der heilenden Kraft der Liebe und einer zweiten Menschwerdung.


Auch in Hollywood wurde man auf diesen brillanten Stilisten aufmerksam und sowohl der Vampirfilm "Thirst" (2009) als auch der sich an Hitchcock orientierende "Stoker" (2013) entstanden in den USA. Mit "The Handmaiden – Die Taschendiebin" gelang ihm 2016 eine fulminante Rückkehr in seine Heimat. In betörend schönen Bildern erzählt Park in diesem im von Japan besetzten Korea der 1930er Jahre spielenden erotischen Thriller mit Perspektivenwechseln und überraschenden Wendungen nicht nur von raffinierten Täuschungen, sondern auch von Machtverhältnissen und der Befreiung der Frau aus ihrer gesellschaftlichen Unterdrückung.


Sanftere Töne schlagen Hong Sang-soo und Lee Chang-dong an. Hong, dessen Filme sowohl mit denen Eric Rohmers als auch mit denen Yasujiro Ozus verglichen werden, erzählt immer wieder leise von Beziehungen zwischen Männern und Frauen, von (Film-)Fantasie und Realität, vom Essen und Trinken.


Minimalistisch ist dabei vielfach die Anlage und fast nichts scheinen Filme wie "The Woman Who Ran" oder "Introduction" dem Auge zu bieten und dennoch strahlen diese von Dialogen bestimmten Filme ihren ganz eigenen Reiz aus. Die Basler Filmreihe bietet die Möglichkeit mit "In Front of Your Face" (2021) und "The Novelist´s Film" (2022) zwei der neuesten Filme dieses Schnellfilmers, der pro Jahr mindestens einen Film dreht, als Vorpremiere zu entdecken.


Zu den Kalligraphen des Kinos muss man auch Lee Chang-dong zählen. Nach Festivalerfolgen mit "Oasis" (2002) und "Secret Sunshine" (2007) legte Lee, der von 2003 bis 2004 südkoreanischer Kulturminister war, 2009 das Drama "Poetry" vor, das in Cannes mit dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet wurde. In langsamem Erzählrhythmus und überlegten Einstellungen erzählt Lee darin fast ohne Musik von einer langsam an Alzheimer erkrankenden 65-jährigen Frau, die durch die Beschäftigung mit Poesie lernt, die Schönheiten des alltäglichen Lebens zu entdecken.


Unübersehbar geht es dabei nicht nur um die erzählte Geschichte, sondern auch um ein Plädoyer für ein poetisches Kino, das den Zuschauer nicht überwältigt, sondern langsam – sofern er Geduld und Einfühlungsvermögen aufbringt - in seinen Bann schlägt.


Sein bisheriges Meisterwerk gelang Lee aber wohl mit seiner Haruki Murakami-Verfilmung "Burning" (2018). Wie der inzwischen 68-Jährige hier über zweieinhalb Stunden ruhig und leise, aber konzentriert und mit sich sukzessive steigernder Spannung von der wachsenden Verunsicherung eines jungen Koreaners erzählt und gleichzeitig auch bei den Zuschauer:innen Verunsicherung auslöst, ist faszinierendes Kino.


Anmerkungen:

(1) Gregor, Ulrich, Geschichte des Films. Bd.4, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1983 (Originalausgabe 1978), S. 483

(2) vgl. Flubacher-Rhim, An Cha, Neues koreanisches Autorenkino – Zwischen Gesellschaftskritik und Publikumshit - http://www.kinokunstmuseum.ch/themas/show/441 (zuletzt abgerufen am 1.11. 2013)


Weitere Informationen und Spieltermine finden Sie hier.


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