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AutorenbildWalter Gasperi

Tides


Eine Astronautin kehrt von einem fernen Planeten, auf den sich die Oberschicht kurz vor einer globalen Katastrophe zurückgezogen hat, auf eine zerstörte Erde zurück, um die dortigen Lebensmöglichkeiten zu prüfen: Bildmächtiger, atmosphärisch dichter Science-Fiction-Film von Tim Fehlbaum.


Wenn ein Streichholz mit dem Knall einer Explosion angezündet wird, ist schon klar, dass Tim Fehlbaum das Publikum mit Bild- und Tonsprache in Bann schlagen will. Nachdem der gebürtige Basler vor zehn Jahren in „Hell“ (2011) eine dystopische Welt schilderte, in der ein Aufenthalt im Freien aufgrund extremer Sonneneinstrahlung kaum mehr möglich war, setzt er mit seinem zweiten Spielfilm diesen Weg fort. Nicht verwundern kann, dass bei beiden Filmen der „Master of Desaster“ Roland Emmerich als einer der Produzenten beteiligt ist.


Das Streichholz wird vom Vater (Sebastian Roché) der jungen Louise Blake (Nora Arnezeder) entzündet. Vor seiner Mission vom Planeten Kepler 209 auf die Erde trug er seiner Tochter auf in bestimmten Abständen ein Streichholz anzuzünden und ehe die Schachtel aufgebraucht sei, werde er zurückkehren. Doch der Vater kam nie zurück und inzwischen ist Louise selbst Astronautin und mit zwei Kollegen unterwegs Richtung Erde, um dort die Lebensmöglichkeiten zu prüfen. Auf Kepler 209 ist zwar ein Überleben in Innenräumen möglich, doch die dortige Atmosphäre hat zu Unfruchtbarkeit geführt, sodass ein Aussterben der Menschheit droht.


Wenige Inserts informieren, dass Klimakatastrophe und Pandemien – Covid-19 ist hier sichtlich in „Tides“ eingeflossen – zur Übersiedelung auf Kepler 209 führten. Parallel dazu sieht man Blakes Raumkapsel auf die verwüstete Erde stürzen. Grau in Grau ist diese Welt, eine gewaltige Flut breitet sich täglich aus, dennoch hat in dieser Region eine kleine Gruppe überlebt, die Blake und ihren schwer verletzten Kollegen Tucker bald gefangen nimmt. Während Tucker stirbt, versucht Blake das Vertrauen der auf steinzeitlichem Niveau lebenden Horde zu gewinnen.


Visuell eindrucksvoll evozieren Kameramann Markus Förderer und Szenenbildner Julian R. Wagner diese ganz in Grau getauchte, nebelige, postapokalyptische Welt, in der nur rostige Relikte von einer einstigen Zivilisation künden. Die Nässe, die Kälte, den Matsch und Schmutz kann man in dem teilweise im Wattenmeer gedrehten Film förmlich spüren.


Diese „Muds“ sind aber nicht die einzigen Überlebenden, sondern sie werden bald von einer militärisch weit besser ausgerüsteten Truppe überfallen. Als diese alle Mädchen rauben, folgt Blake ihnen, um die Tochter der Anführerin der „Muds“ zu retten und stößt dabei nicht nur in Gibson (Iain Glen) auf einen Überlebenden der ersten keplerschen Weltraummission, der vom Wrack eines Tankers aus eine neue Zivilisation aufbauen will, sondern auch auf ihren Vater.


Als eindringliche Warnung vor der weiteren Ausbeutung und Zerstörung der Erde hat Tim Fehlbaum seinen dystopischen Science-Fiction-Film angelegt und schildert im Gewand eines klassischen Genrefilms drastisch und eindrücklich die verheerenden Folgen. Was verloren geht, macht prägnant ein einziges grünes Pflänzchen, das Gibsons Adoptivsohn züchtet, bewusst. Fehlbaum macht aber auch keine Hoffnung auf ein Überleben auf einem anderen Planeten, sondern verleiht seiner Warnung mit der Erde als einzigem möglichen Lebensraum Nachdruck.


Bei der Evokation dieser postapokalyptischen Welt ließ sich der 39-Jährige unübersehbar von Klassikern wie den „Mad Max“-Filmen inspirieren, die Rückkehr auf die Erde und die primitive Entwicklungsstufe erinnert auch an Franklin J. Schaffners „Planet der Affen“ (1968), in dem ein Atomkrieg die Ursache der Zerstörung des Planeten war. Epigonal wirkt „Tides“ dabei aber nie, sondern bewahrt Eigenständigkeit.


Der Männerdominanz in diesem Genre werden mit der Astronautin Blake und der „Muds“-Anführerin Narvik zwei starke Frauen gegenübergestellt. Mit großem Körpereinsatz spielen dabei nicht nur Nora Arnezeder und Sarah-Sofie Boussnina, sondern das ganze Ensemble. Doch das Drehbuch von Tim Fehlbaum und Mariko Minoguchi, der zuletzt mit „Mein Ende. Dein Anfang“ ein starkes Spielfilmdebüt als Regisseurin gelang, kann mit der optisch-akustischen Brillanz nicht ganz mithalten.


Sehr oberflächlich und dünn bleibt nicht nur die Schilderung des Lebens der „Muds“, sondern auch der Pläne Gibsons und der Gesellschaft auf Kepler. An den Nationalsozialismus knüpfen Fehlmann und Minoguchi dabei zwar mit der völligen Unterordnung des Individuums unter die Gemeinschaft und dem Versuch der Züchtung höher entwickelter Menschen bei gleichzeitiger Aussortierung von Schwachen an. Mit einigen Pinwand-Fotos aus der NS-Zeit werden auch gezielt solche Assoziationen geschürt, doch vertieft werden diese Themen nicht, sondern bleiben ziemlich diffus in der Luft hängen.


Wichtiger sind Fehlbaum / Minoguchi die privaten Geschichten, die für Spannung und Emotionen sorgen sollen. Eher blass bleibt aber auch hier die Geschichte zwischen der „Muds“-Anführerin und ihrer entführten Tochter Maila, weil diese Figuren zu wenig Profil gewinnen, während die Beziehung zwischen Blake und ihrem Vater doch zu stark an andere Science-Fiction-Filme wie Christopher Nolans „Interstellar“, James Grays „Ad Astra“ oder George Clooneys „The Midnight Sky“ erinnert. Der Tatsache, dass Fehlbaum mit „Tides“ aber visuell großartiges Science-Fiction-Kino gelungen ist, wie es im deutschsprachigen Raum fast nie entsteht, können diese Einwände aber nichts anhaben.


Läuft derzeit in Österreich, Deutschland und der Schweiz in (einigen) Kinos, z.B. im Skino in Schaan, ab 3.9. im Kinok St. Gallen


Trailer zu "Tides"



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