Lee Isaac Chungs Katastrophenfilm ist weniger ein Remake als vielmehr ein in der Gegenwart spielendes Sequel zu Jan de Bonts 1996 entstandenem "Twister". Eine gut abgestimmte Mischung aus spektakulären Actionszenen und menschlichen Aspekten sorgt dabei für starkes Blockbuster-Kino, das auch eine Hommage an das klassische Hollywood-Kino bietet.
13 Jahre nach seinem Spielfilmdebüt "Munyuarngabo" (2007) gelang dem koreanischstämmigen US-Amerikaner Lee Isaac Chung mit "Minari – Wo wir Wurzeln schlagen" (2020) der internationale Durchbruch im Arthouse-Kino. Die zahlreichen Auszeichnungen, darunter auch sechs Oscar-Nominierungen, öffneten ihm das Tor zu Hollywood und zum großen Geld.
Rund 200 Millionen Dollar standen Chung so für sein Sequel zu Jan de Bonts Katastrophenfilm "Twister" (1996) zur Verfügung – und mit 80,5 Millionen Dollar Einspielergebnis am Startwochenende allein in den USA dürfte sich die Investition auch gelohnt haben.
So weit der Weg Chungs von seinen Low-Budget-Produktionen zu diesem Blockbuster scheint, so finden sich doch auch in diesem Film autobiographische Spuren. Neben der Begeisterung für de Bonts Film, den er 1996 als 18-Jähriger sah, war sicher auch die Vertrautheit mit dem ländlichen Amerika ein Motiv für sein Interesse an diesem Stoff, wuchs er doch im ländlichen Arkansas, nahe der Grenze zu Oklahoma, wo "Twisters" spielt, auf.
Ausgiebig feiert Chung so auch diese Landschaft, ihre Kleinstädte und deren Bewohner:innen und erzeugt nicht nur mit zahlreichen Country-Songs, sondern auch mit den Figuren Western-Stimmung. Markant stellt er dieser Landbevölkerung auch die junge Sturmjägerin Kate (Daisy Edgar-Jones) gegenüber, die nach einem traumatischen Tornado-Erlebnis ihre Heimat verlassen hat und nach New York übersiedelt ist.
Erst die Bitte ihres Freundes Javi (Antonio Ramos) bewegt sie fünf Jahre später zur Rückkehr in ihre Heimat, in der aber zwei konkurrierende Gruppen von Sturmjägern aufeinandertreffen. Dem scheinbar rein wissenschaftlich orientierten Trupp um Javi steht ein wilder, stark multikultureller Haufen um Tyler (Glen Powell) gegenüber, der die Tornadojagd als große Show inszeniert, alles filmt und auf youtube publiziert.
Doch scheinen die Sympathien zunächst klar verteilt, wird sich das Bild bald verschieben, wenn klar wird, dass sich die Wissenschaftler an einen Immobilienhai verkauft haben, während die vermeintliche Showtruppe mit ihren Aktionen Geld auftreibt, um der durch die Stürme ihres Besitzes beraubten Bevölkerung zu helfen.
Der Aspekt, dass die zunehmende Zahl der Stürme eine Folge des Klimawandels ist, wird wohl deshalb nur beiläufig angesprochen, um Leugner:innen des Klimawandels nicht zu verärgern und vom Kinobesuch abzuschrecken. Zeit lässt sich Chung dagegen für die Schilderung der Entwicklung der Beziehung zwischen Kate und Tyler und bringt auch immer wieder das nicht überwundene Trauma und die Schuldgefühle Kates ins Spiel, das der in der Eröffnungsszene geschilderte Verlust von drei Freund:innen durch einen Tornado auslöste.
Bruchlos verschmelzt Chung diese persönlichen und gesellschaftskritischen Momente mit den spektakulären und bildgewaltigen Actionszenen. An Tierhorror-Filme erinnert "Twisters" dabei, wenn die Stürme wie eine Bestie bekämpft und besiegt werden sollen.
Trotz der realen Gefahr von Tornados bewahrt dieser Katastrophenfilm nicht zuletzt dank der Figur des von Glen Powell ("Hit Man – A Killer Romance") mit viel Charme als modernen Cowboy gespielten Tyler große Leichtigkeit. Wirklich bangen muss man um die Helden kaum einmal, denn wie in den Filmen von Howard Hawks werden sie als echte Profis gezeichnet, die die Situation (fast) immer im Griff haben.
Aber auch die Figur Kates erinnert an die starken und unabhängigen Frauen von Hawks, gleichzeitig ist das aber auch eine moderne Frauenfigur, die selbstständig agiert und entscheidet. Wie Chung sie in ein Dreieck zwischen Javi und Tyler einbettet und dabei auf alle Sentimentalitäten verzichtet, ist ein weiterer Aspekt, mit dem "Twisters" in die Tradition der Filme eines Hawks, Walsh oder Ford gestellt wird, während die Kritik an Ausbeutung der Not der kleinen Leute und Abrechnung mit skrupellosen Geschäftemachern an die Filme Frank Capras erinnert. – So gelingt Chung spielerisch leicht der Spagat zwischen spektakulärem Blockbuster-Kino, menschlichem Drama und Hommage an das klassische Hollywood-Kino.
Twisters USA 2024 Regie: Lee Isaac Chung mit: Daisy Edgar-Jones, Glen Powell, Anthony Ramos, Brandon Perea, Daryl McCormack, Maura Tierney, Kiernan Shipka Katy M. O'Brian, Harry Hadden-Paton Länge: 123 min.
Läuft derzeit in den Kinos.
Trailer zu "Twisters"
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