Neben den Festivalhits des Jahres präsentiert die Viennale immer auch zahlreiche erste und zweite Spielfilme von vielversprechenden Talenten. Beispiele dafür sind "Kouté Vwa – Listen to the Voices" des aus Französisch-Guyana stammenden Maxime Jean-Baptiste und "Demba" des Senegalesen Mamadou Dia.
Während die großen Festivals zumeist Weltpremieren präsentieren wollen, ermöglicht die Viennale, die sich als Publikumsfestival versteht, auch die Entdeckung von Filmen, die schon auf anderen Festivals gelaufen sind, dort aber im Überangebot in einer Nebenschiene vielleicht zu wenig Beachtung fanden. So feierte "Demba", der zweite Spielfilm des Senegalesen Mamadou Dia, schon im Februar bei der Berlinale in der Programmsparte "Encounters" seine Premiere, während "Kouté Vwa – Listen to the Voices", das Langfilmdebüt des in Französisch-Guyana aufgewachsenen und in Paris und Brüssel lebenden Maxime Jean-Baptiste, in Locarno in der Sparte "Cineasti del Presente" lief.
Beide Filme verbindet ein autobiographischer Hintergrund. Während Mamadou Dia den frühen Tod seiner Mutter verarbeitet, ist für Maxime Jean-Baptiste der gewaltsame Tod seines Cousin Lucas im Jahr 2012 der Ausgangspunkt. Mit Archivmaterial von einer Gedenkfeier an Lucas lässt er "Kouté Vwa – Listen to the Voices" einsetzen, um dann auf der Mutter des Verstorbenen und ihrem Enkel zu fokussieren. Der 13-jährige Melrick verbringt seine Ferien bei seiner Großmutter, während seine Mutter in Frankreich geblieben ist. Der Tod von Lucas liegt zwar schon elf Jahre zurück, doch immer noch bestimmt er die Gedanken nicht nur der Großmutter, sondern auch von Lucas´ bestem Freund Yannick.
Unterschiedliche Möglichkeiten des Umgangs mit dem Verlust werden sichtbar, wenn Yannick von seinen Rachegedanken spricht, die Großmutter dagegen betont, dass sie dem Täter vergeben habe. In der Konfrontation mit diesen beiden Verhaltensweisen – oder eben den titelgebenden Stimmen – muss Melrick seinen eigenen Weg finden, eine Position zum Tod von Lucas zu entwickeln.
Große Dichte und Authentizität entwickeln die Gespräche und der Film dabei dadurch, dass die Charaktere von den realen Personen gespielt werden und somit Dokumentarisches und Fiktives fließend ineinander übergehen. Über die individuelle Geschichte hinaus thematisiert Jean-Baptiste, der zusammen mit seiner Schwester Audrey auch das Drehbuch schrieb, aber auch die allgegenwärtige Straßengewalt, die Französisch-Guyana prägt, und fragt, wie dieser Kreislauf durchbrochen werden kann.
Eine Möglichkeit scheint da das rhythmische Trommeln zu bieten, das Melrick lernt, und eine rituelle Feier, bei der die Gegensätze durch Trommelschläge und Tänze aufgelöst werden und sich eine Gemeinschaft einstellt.
Nicht nur am Ende von "Kouté Vwa – Listen to the Voices" steht dabei mit der Großmutter und dem Enkel am Strand ein hoffnungsvolles Schlussbild, sondern auch bei "Demba" findet der lange Zeit psychisch schwer angeschlagene 55-jährige Protagonist am Stand innere Ruhe.
Den Schmerz über den Tod seiner Frau hat der 55-jährige Beamte zunächst scheinbar noch verdrängt, doch als er zwei Jahre später entlassen wird, da seine Niederschrift von Geburts- und Todesurkunden angesichts der anstehenden Digitalisierung nicht mehr nötig ist, verbreitet sich nicht nur ein Gefühl der Nutzlosigkeit, sondern auch die Trauer bricht zunehmend durch.
Realität und vorwiegend in Gelbbraun getauchte Träume und Erinnerungen an die verstorbene Frau Awa verschwimmen zunehmend und Mamadou Dia, der in seinem Heimatdorf Matam und zu einem großen Teil mit Laiendarsteller:innen drehte, gelingt es durch diese Vermischung der Ebene eindringlich die psychische Instabilität Dembas zu vermitteln.
Verstärkt wird die Depression, die nie als solche benannt wird, durch die Entwertung seiner Arbeit, die sich im Verbrennen seiner in 27-jähriger Arbeit geschriebenen Dokumente äußert. Aggression mischt sich hier in die Verlorenheit, wenn er Computer-Bildschirme zertrümmert, die ihm seiner Meinung nach den Arbeitsplatz genommen haben.
Dazu kommen aber auch noch ein langsam wachsender Konflikt mit dem Bürgermeister, mit dem er jahrelang zusammenarbeitete, von dem er sich nun aber im Stich gelassen fühlt, sowie das Gefühl des Alterns und schwächer Werdens, wenn er im Armdrücken unterliegt.
Plastisch macht Dia aber auch die Belastungen durch die gesellschaftlichen Umbrüche sichtbar, wenn immer wieder alten Ritualen moderne Technologien gegenüberstehen. Dennoch lässt er seinen sich seiner Umwelt zunehmend entziehenden oder mit ihr aneckenden Protagonisten schließlich bei einem rituellen Fest nicht nur Heilung finden, sondern sich auch wieder mit seinem Sohn, mit dem er sich sukzessive zerstritten hatte, durch Aufarbeitung des Tods der Ehefrau bzw. Mutter aussöhnen.
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