Matthew Rankin erzählt in seinem zweiten Spielfilm "Universal Language", der bei der Viennale mit dem FIPRESCI-Preis ausgezeichnet wurde, ziemlich einzigartig von Heimatlosigkeit und Identitätssuche in einem winterlich verschneiten Winnipeg. Rungano Nyoni deckt dagegen in "On Becoming a Guinea Fowl" familiäre Verdrängungsmechanismen von Missbrauch nicht nur in Sambia auf. Aber auch zwei starke Filme über Mutterschaft fehlen mit Annie Bakers "Janet Planet" und Marielle Hellers "Nightbitch" nicht.
Die Referenz an Wes Anderson ist unübersehbar, wenn Matthew Rankins "Universal Language" mit einer langen Totalen einer Ziegelmauer startet, bei der ein relativ kleines Fenster den Blick in ein Klassenzimmer öffnet, in dem Grundschüler:innen herumtoben. Der Lehrer kommt zu spät, wird dann aber mit hartem Ton für Ordnung sorgen und seine Schüler:innen schließlich zur Strafe in die Toilette verbannen, auch wenn ein Kind einwendet, dass dort doch keinesfalls Platz für alle sei.
Dieser Ausgrenzung in der Schule steht aber schon die nationale Ausgrenzung der Schüler:innen gegenüber, denn diese sprechen eben - obwohl der Schauplatz das kanadische Winnipeg ist - nicht Englisch, sondern Farsi und sind iranische Flüchtlinge. Von dieser Ausgangssituation entwickelt Rankin eine Fülle von vor Einfallsreichtum sprühenden, auf den ersten Blick unzusammenhängenden Szenen, die im bewegenden Finale dann doch zusammengeführt werden.
Gleichzeitig spielt der Kanadier aber auch immer wieder mit der Filmgeschichte. Wie er mit dem Vorspanninsert "In the Name of Friendship" an die Einleitungen iranischer Filme anknüpft, so zitiert er mit dem Fund eines im Eis eingefrorenen Geldscheins Jafar Panahis frühen Film "Der weiße Ballon", in dem ein Mädchen an eine Banknote, die unter einem Gullydeckel liegt, herankommen will, ebenso wie mit der Suche nach der Brille eines Mädchens Abbas Kiarostamis "Wo ist das Haus meines Freundes?"
Andererseits ist eine Szene in einem Quebecer Regierungsbüro, in der ein Beamter über seine Bemühungen für die Unabhängigkeit Quebecs schwadroniert, unübersehbar von den Tableaux der von absurdem Witz durchzogenen Filme des Schweden Roy Andersson inspiriert.
Während nun ein Beamter in Quebec, der nicht nur von Regisseur Matthew Rankin gespielt wird, sondern auch dessen Namen trägt, seinen langweiligen Bürojob kündigt und in seine Heimatstadt Winnipeg aufbricht, um seine kranke Mutter zu besuchen, führt ein Exil-Iraner Touristen durch die nicht nur verschneite und winterlich kalte, sondern auch von Schnellstraßen bestimmte, gesichtslose Hauptstadt der kanadischen Provinz Manitoba.
Wie diese beiden Geschichten, aber auch die Geschichte um den Geldschein und die verlorene bzw. von einem Truthahn gestohlene Brille schließlich ganz selbstverständlich zusammengefügt werden, soll nicht verraten werden, doch schlüssig und auch bewegend erzählt Rankin in dieser Entwicklung einerseits von Heimat- und Identitätsverlust, andererseits auch vom Finden einer neuen Heimat und von Sprachgrenzen überschreitender Empathie und Fürsorge.
Einen starken Eindruck hinterließ aber auch der nach "I Am Not a Witch" (2017) zweite Spielfilm der sambisch-walisischen Regisseurin Rungano Nyoni. Mit einer absurden Szene setzt "On Becoming a Guinea Fowl" ein, wenn die junge Shula auf einer nächtlichen Landstraße ihren toten Onkel Fred findet, die Polizei sie aber zum Ausharren bis zum nächsten Morgen auffordert, da kein Einsatzwagen frei sei.
Bald kommt auch Shulas betrunkene Cousine vorbei, doch beide zeigen wenig Trauer über den Tod des Onkels, denn bald wird klar, dass dieser sie wie auch eine dritte Cousine als Kinder missbraucht hat. Leider gab es eben nicht das titelgebende Perlhuhn, über das Shula im Kinderfernsehen erfuhr, dass es mit seinem Geschrei immer die anderen Tiere der Savanne vor Raubtieren warnt.
Ihren Müttern bzw. Tanten haben die Missbrauchsopfer den Vorfall zwar schon längst gemeldet, doch diese wollen ihn nun nicht thematisieren, sondern für den toten Onkel trotz seiner Taten ein feierliches Begräbnis abhalten, bei dem einzig mit dessen Witwe abgerechnet wird, ihr mangelnde Fürsorge vorgeworfen und ihr das Erbe entzogen wird.
Dicht lotet Nyoni so in dem vor allem während eines Blackouts spielenden Spielfilm, bei dem die dunklen Nachtbilder von Kameramann Daniel Gallego auch die Vertuschung des Unliebsamen spiegeln, Familien- und Gesellschaftsstrukturen aus und sorgt dafür, dass ihr Film durch Momente von Humor und kraftvolle Bilder sowie dem rebellischen Schlussbild nie niederschmetternd wird, sondern Hoffnung auf eine Wende verbreitet.
Um Mutterschaft in der westlichen Welt – speziell in den USA – kreisen dagegen "Nightbitch" von Marielle Heller und "Planet Janet" der Schriftstellerin Annie Baker. Getragen von einer grandiosen Amy Adams in der Hauptrolle erzählt Heller in ihrer Verfilmung von Rachel Yoders 2021 erschienenem gleichnamigem Roman ins horrorhaft Groteske übersteigert, wie sich die Belastungen einer Mutterschaft auf eine namenlos bleibende Frau auswirken.
Den Job als Künstlerin hat die Frau fürs Baby aufgegeben, die Erziehung liegt großteils in ihren Händen, da der Mann während der Woche abwesend ist. Allein gelassen mit dem etwa einjährigen Kind, glaubt die Frau nun nicht nur zunehmend körperliche Veränderungen wie unmäßiges Wachstum von Haaren und Pickeln an sich festzustellen, sondern fühlt sich auch zunehmend Hunden nahe. So beginnt sie mit ihrem Sohn aus einem Hundenapf zu essen und wie ein Hund zu heulen, verstört damit aber verständlicherweise zunehmend ihren Mann.
So übersteigert die Schilderung ist, in der auch immer wieder die Grenzen von Realität und Traum unentwirrbar verschwimmen, so ernsthaft ist dieser Film im Kern doch, unterhält bestens und lässt doch die einschneidende Wirkung von Geburt und Mutterschaft im Leben einer Frau neu sehen.
Schon elf Jahre alt ist die Tochter in Annie Bakers Regiedebüt "Janet Planet". Wie sehr diese Lacy in dem in den frühen 1990er Jahren im ländlichen Massachusetts spielenden Film noch auf ihre Mutter fixiert ist, wird schon in der ersten Szene deutlich, wenn sie der Mutter mit Suizid droht, falls sie sie nicht vom Sommerlager abholt.
Zurück im idyllisch zwischen Wäldern und Wiesen gelegenen Holzhaus muss das Mädchen aber feststellen, dass die Mutter inzwischen einen neuen Partner hat. Was als Coming-of-Age-Geschichte beginnt, entwickelt sich dabei zunehmend zum Porträt einer Frau, die zwischen Mutterpflichten und Sehnsucht nach Liebe und Beziehungen zerrissen ist. Dabei entwickelt in dem durch Inserts, die Anfang und Ende der drei Beziehungen markieren, gegliederten Film das Mädchen im Laufe dieses Sommers Autonomie, während die Mutter im gleichen Verhalten fortzufahren scheint.
Stark gespielt und atmosphärisch dicht die Stimmung dieses Sommers auf dem Lande einfangend, besticht der auf 16-mm gedrehte Film vor allem auch durch die Doppelperspektive und die feinfühlige und differenzierte Auslotung sowohl der Psyche der Tochter als auch der Mutter.
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