top of page

Was Marielle weiß

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 1 Stunde
  • 3 Min. Lesezeit
"Was Marielle weiß": Frédéric Hambalek demontiert in seiner Gesellschaftssatire mit trockenem Witz das Bild einer harmonischen Familie
"Was Marielle weiß": Frédéric Hambalek demontiert in seiner Gesellschaftssatire mit trockenem Witz das Bild einer harmonischen Familie

Was passiert, wenn ein Kind durch telepathische Fähigkeiten alles weiß, was seine Eltern tun? – Frédéric Hambalek nutzt diese Ausgangssituation, um mit satirischem Biss eine Familie zu durchleuchten, Heuchelei und Lügen aufzudecken und zu zeigen, wie letztlich auch radikale Ehrlichkeit und Offenheit Beziehungen zerstören würde.


Frédéric Hambalek nennt ein Treffen, bei dem ihm ein Babyfon mit eingebauter Kamera gezeigt wurde, als wichtige Inspiration für seinen zweiten Spielfilm. Den Umstand, dass Eltern damit ihr Baby komplett überwachen können, dreht der 1986 geborene Regisseur um und versieht die zwölfjährige Marielle (Laeni Geiseler) mit telepathischen Fähigkeiten.


Am Beginn steht eine Großaufnahme des Gesichts des Mädchens, auf das in Zeitlupe eine schallende Ohrfeige klatscht. Unsichtbar bleibt ihre Freundin Svenja, die sich damit für eine Beleidigung rächt, doch gravierend sind die Folgen. Denn Marielle sieht und hört jetzt alles, was ihre Eltern auch in ihrer Abwesenheit tun.


Die Ausgangssituation nützt Hambalek, um die scheinbar glückliche Familie und das scheinbar harmonische Eheleben der Eltern präzise zu durchleuchten. An die Perspektive einer Überwachungskamera knüpft der Film dabei vor allem am Beginn an, wenn das Geschehen mehrfach mit einer scheinbar an der Decke fixierten Kamera gefilmt wird. Damit wirft "Was Marielle weiß" auch Fragen nach dem Verschwinden der Privatsphäre in einer Welt auf, in der Kameras omnipräsent sind.


Von diesen Aufnahmen abgesehen dominieren bei dieser Versuchsanordnung aber Groß- und Nahaufnahmen, die in den Gesichtern der von Julia Jentsch und Felix Kramer stark gespielten Eltern lesen lassen. Klein gehalten ist der Film mit der Beschränkung auf die Familie, die Großmutter und wenige Arbeitskolleg:innen als Charaktere sowie das moderne, aber steril wirkende Einfamilienhaus, sowie die Bürogebäude, in denen die Eltern arbeiten, als Schauplätze. Präzise evoziert die Kamera von Alexander Griesser auch durch die Dominanz von Weiß und Blautönen ein kühles Ambiente.


Diese visuelle Kälte korrespondiert mit den ebenso knappen wie pointierten Dialogen und der trockenen Erzählweise, die nie Wärme oder Emotionen aufkommen lassen. Wie in den Filmen von Yorgos Lanthimos oder auch von Ruben Östlund, vor allem in dessen "Höhere Gewalt", wird hier eine Familie nüchtern seziert.


Dem Bild vom ehelichen Glück stehen so die Gedanken der Mutter an eine sexuelle Fantasie gegenüber, die sie mit einem Arbeitskollegen austauscht. Der Vater dagegen gibt zu Hause vor, im Büro der starke Mann zu sein, muss dort aber in Wahrheit immer wieder klein beigeben. Weil Marielle mit ihren telepathischen Fähigkeiten dies alles durchschaut, sehen sich die Eltern aufgrund dieser Überwachung bald zum Handeln gezwungen.


Vermuten sie zunächst, dass die Tochter ihre Handys abhört, folgt bald eine ärztliche Untersuchung, die aber zu keinem Ergebnis führt. Sukzessive dreht Hambalek nun die Schraube weiter. So gewinnt Marielle mit ihrem Wissen Macht über ihre Eltern, manipuliert bald den Vater und verbündet sich mit ihm, bis die Mutter wiederum den Vater mit ihrem Verhalten provoziert.


Gleichzeitig erzählt der ebenso klug wie stringent aufgebaute Film aber auch vom Ende der unbeschwerten Zeit der Kindheit. Denn mit Marielles Wissen zerfällt auch das zwar falsche, aber angenehme Bild der glücklichen Familie und sie erkennt die bittere Realität, dass sich hinter der gepflegten Fassade Abgründe verbergen.


Gegliedert durch Großaufnahmen von Marielle, die durch unterschiedliche Farbfilter verfremdet sind und die jeweils von klassischer Musik von Beethoven und Schubert begleitet werden, entwickelt sich so in kompakten 86 Minuten und in der durch Ferienbeginn und Ferienende geschickt gerahmten Handlung eine von trockenem Witz durchzogene Sittenkomödie. Treffsicher deckt Hambalek dabei nicht nur auf, wie sich hinter einem scheinbaren familiären Glück Lügen und Heuchelei verbergen, sondern zeigt auch, wie radikale Offenheit und Ehrlichkeit, von denen immer wieder die Rede ist, letztlich wohl zum Zerfall der Familie und von Beziehungen im Allgemeinen führen würden.

 

Was Marielle weiß Deutschland 2025 Regie: Frédéric Hambalek mit: Laeni Geiseler, Julia Jentsch, Felix Kramer, Mehmet Ateşçi, Moritz von Treuenfels Länge: 86 min.



Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan.



Trailer zu "Was Marielle weiß"


 

Comments


bottom of page