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AutorenbildWalter Gasperi

Western: Von der Mythenbildung zur kritischen Revision


The Searchers (John Ford, 1956)

Der Western ist nahezu so alt wie das Kino selbst. Nicht nur Geschichten wurden in diesem Genre erzählt, sondern Amerika erfand sich darin auch mythisch überhöht und verklärte seine eigene Geschichte von der Eroberung und Zivilisierung des Westens. Doch spätestens ab den 1960er Jahre setzten sich Filmregisseur auch kritisch mit der Glorifizierung der Vergangenheit und den Heldenbildern auseinander. - Das Österreichische Filmmuseum bietet mit einer Filmreihe bis 30. Juni Einblick in diese Entwicklung dieses uramerikanischen Genres.


Äußere Bewegung ist ein zentrales Moment des Kinos und so kann es kaum verwundern, dass sich das Genre des Western als erstes entwickelte, geht es doch darin immer um Verfolgungsjagden zu Pferd oder den Bau der Eisenbahn, also um Bewegung, andererseits natürlich auch um Action. Immer nach vorwärts gerichtet ist die Erzählweise, Rückblenden gibt es im Gegensatz zu den fatalistischen Genres Melodram und Film noir im Western kaum. Diese Linearität korrespondierte wiederum mit der Aufbruchsstimmung, der Zukunftsorientierung und dem Optimismus der jungen Nation.


Historisch situiert sind die Western zwischen der Gründung der USA im Jahre 1776 und dem Anbruch des Industriezeitalters, vorwiegend aber in der Zeit zwischen 1865 und 1890. Mythisiert wird im Genre die Landnahme mit dem Zug nach Westen, der Kampf gegen die indigene Bevölkerung, der erst im Spätwestern der 1960er und 1970er Jahre einer scharfen Kritik unterzogen wurde.

Zum zentralen Schauplatz wurde somit die "Frontier", die Stadt an der Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation, die aber auch an der Scheidelinie und im Grenzbereich zwischen dem Recht des Stärkeren und der staatlichen Macht, zwischen bürgerlicher Ordnung und absoluter Freiheit des Individuums liegt.


Frauen spielen im Western – von wenigen Ausnahmen wie Sam Fullers "Forty Guns" (1957) oder Nicholas Rays "Johnny Guitar" (1954) abgesehen – nur untergeordnete Rollen. Sie kommen entweder als Bardame, hinter denen sich in der Realität Prostituierte verbergen, oder gelegentlich noch als kultivierte Städterinnen aus dem Osten, die ein Rancher zwecks Heirat in den Westen holt, vor. Die Einrichtungen von Ehe und Familie finden sich in der vor- oder außerbürgerlichen Welt des Western nur am Rande. Im Mittelpunkt steht der Westerner: der einsame Cowboy, der pflichtbewusste Sheriff, der Trapper, der Outlaw oder der Anführer eines Trecks.


Konflikte bauen sich an dieser "Frontier" auf, weil der Freiraum des aus der Zivilisation in dieses Niemandsland geflüchteten Abenteurers nun auch hier eingeschränkt wird, weil der Westerner, der die Zivilisation erst ermöglichte, bald durch die bürgerliche Ordnung in seiner Freiheit eingeschränkt wird und weil sich im zunächst egalitären Grenzland bald kapitalistische Tendenzen ausbreiten, wenn ein mächtiger Rancher die kleinen Farmer bekämpft und das Kapital Macht auch über die Stadt, also die Politik, ausübt.


Die Trennung in Outlaw hier und anständigen Cowboy oder Sheriff dort kann erst mit der Durchsetzung des Gesetzes greifen, davor gibt es diese Unterscheidung nicht. Nicht nur in John Fords "The Man Who Shot Liberty Valance" (1961), sondern auch in den Spätwestern von Sam Peckinpah wird deutlich, dass beide ursprünglich auf der gleichen Seite standen, dass erst die Ausbreitung der Zivilisation und des Gesetzes zu ihrer Trennung führten, der eine zum Outlaw wurde, weil er am alten gesetzlosen Leben festhielt, der andere sich für die Einordnung in die Gesellschaft entschied.


Zahlreiche Western thematisieren diese Bruchstelle und den Positionswechsel des Helden oder zeichnen diese Westerner als zerrissene Figuren. Als positiven Outlaw im Kontrast zu einer heuchlerischen bürgerlichen Gesellschaft charakterisierte John Ford den vom jungen John Wayne gespielten Ringo in "Stagecoach" (1939), den André Bazin mit dem Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner verglich. Dem Happy-End, das Ringo in diesem Film mit der Prostiuierten Alice außerhalb der Gesellschaft findet, steht die Ausgeschlossenheit des wiederum von Wayne gespielten Ethan Edwards in John Fords 1956 entstandenen "The Searchers" gegenüber.


Die Ansiedlung von Familien und den Aufbau von Farmen in der Region um das Monument Valley hat dieser Captain Ahab der Prärie wohl ermöglicht, aber ihm bleibt diese Welt verschlossen. Legendär ist die Einstellung durch die offene Tür hinaus in die Weite, aus der sich Edwards/Wayne dem Haus nähert, aber die Schwelle nicht überschreiten wird, sondern am Ende einem jungen Paar den Vortritt lassen wird und selbst wieder in die Weite oder ins Nichts der Selbstauflösung verschwinden wird. Wie sein Kontrahent, der Indianerhäuptling Scar, ist er in diesem vielschichtigen Meisterwerk ein zerrissener heimatloser Wanderer zwischen den Welten.


Überrollt von der Zeit wird Wayne aber schon in Howard Hawks´ "Red River" (1948), in dem er stur einen Viehtreck durchführen will, obwohl schon eine Eisenbahnlinie existiert. Nicht nur zwei Generationen prallen hier aufeinander, wenn sich Tom Dunson am Ende mit seinem Ziehsohn (Montgomery Clift) prügelt, sondern auch Tradition und Moderne, stures Festhalten an Plänen und flexibles pragmatisches Agieren.


Zutiefst zerrissen sind auch die Figuren, die James Stewart in den harten Western von Anthony Mann spielte: bohrende, sich nahezu selbst zerstörende, rachsüchtige Männer. Und der Gegensatz zwischen Individuum und Gesellschaft ist schließlich auch ein zentrales Thema in Fred Zinnemans "High Noon" (1952). Kopf und Kragen darf der von Gary Cooper gespielte Sheriff für die Grenzstadt riskieren, doch Hilfe darf er von den Bürgern keine erwarten. Voll Verachtung quittiert er am Ende den Job, wirft den Sheriffstern in den Staub und verlässt mit seiner Frau die Stadt.


Auf die Banditengeschichte "The Great Train Robbery" (1903) über die großen Epen zu Eisenbahnbau ("The Iron Horse", John Ford, 1924) und Landnahme ("The Covered Wagon", James Cruze, 1923; "The Big Trail", Raoul Walsh, 1930) sowie die heroischen, Mythen bildenden und zementierenden Western zwischen 1939 und 1946 ("Jesse James", Henry King, 1939; "Buffalo Bill", William A. Wellman, 1944, "My Darling Clementine", John Ford, 1946) folgten in den 1950er Jahre die kritischeren und erwachsenen Western von John Sturges, Anthony Mann und Budd Boetticher.


Tritt in Filmen wie zum Beispiel Anthony Manns "Winchester 73" (1950), Henry Kings "The Gunfighter" (1950) oder Delmer Daves "3:10 to Yuma – Zähl bis drei und bete" (1957) schon an die Stelle der Utopie vom Gelobten Land ein nüchtern-realistischer Blick und eine Auseinandersetzung mit der Gewalt als Grundkonstante der amerikanischen Geschichte so werden ab den 1960er Jahren im Spätwestern die Mythen endgültig demontiert.


Aus dem Bild der heroischen Eroberung des Westens in der Frühzeit des Genres wurde in Filmen wie Arthur Penns "Little Big Man" (1970) oder Robert Aldrichs "Ulzana´s Raid – Keine Gnade für Ulzana" (1972) bis hin zu Walter Hills "Geronimo: An American Legend" (1993) eine Abrechnung mit dem Völkermord an der indigenen Bevölkerung.


Demontiert werden aber auch die Helden. Ausgesprochen nachdenklich ist Frank Perrys Blick auf das legendäre Duo Wyatt Earp und Doc Holliday in "Doc" (1970) und zum großmäuligen Schaumschläger wird der legendäre Westernheld Buffalo Bill in Robert Altmans "Buffalo Bill and the Indians" 1976).


Schonungslos erzählte Michael Cimino in seinem monumentalen Epos "Heaven´s Gate" (1980) vom Kampf zwischen mächtigen Ranchern und osteuropäischen Immigranten als brutalem Klassenkampf. Und an die Stelle der Weite und der Helle des Tages, die die klassischen Western kennzeichnete, tritt schließlich in Clint Eastwoods "Unforgiven" (1992) ein Showdown in finsterer Nacht bei sintflutartigem Regen.


Und während Monte Hellman in seinen existentialistischen Western ("Ride in the Whirlwind", 1965; "The Shooting", 1966) das Genre ad absurdum führte, indem er auf jede zielorientierte Handlung - ein Kennzeichen des Western - verzichtete, verarbeitete Jim Jarmusch in "Dead Man" (1995) zahlreiche Western-Motive zu einer Hommage und einer Totenklage auf das Genre.


Und gleichwohl finden Regisseur*innen im Western-Setting immer wieder Stoff für neue Geschichten und neue Aspekte wie Jacques Audiards Blick aufs Alltägliche in "The Sister´s Brothers" (2018) oder Kelly Reichardts entschleunigter Frauentreck-Western "Meek´s Cutoff" (2010) oder die Frontiergeschichte "First Cow" (2019), die in einer kleinen Geschichte von der Entstehung des Kapitalismus erzählt, beweisen.


Weitere Informationen und Spieltermine finden Sie auf Österreichisches Filmmuseum.

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