Der Dalai Lama legt in einem langen Interview seine Philosophie für eine bessere und glücklichere Welt dar, während Archivmaterial nicht nur an die chinesische Besetzung Tibets, sondern vor allem an die großen globalen Probleme der Gegenwart erinnert: Die Bedeutung des Plädoyers für Mitgefühl steht außer Frage, doch allzu repetitiv wird dieses vorgetragen.
2020 ergab sich für Barbara Miller, der zuletzt mit dem Dokumentarfilm "#Female Pleasure" (2018) ein Publikumserfolg gelang, und Philip Delaquis die Gelegenheit den Dalai Lama in seinem Sitz im indischen Dharamsala zu interviewen. Manuel Bauer, der seit den 1990er-Jahren der persönliche Fotograf des Oberhaupts des tibetischen Buddhismus ist, filmte den damals 85-Jährigen dabei mit einem speziellen Kameraaufsatz, sodass das Publikum dem Interviewten direkt gegenüber zu sitzen glaubt, während die Interviewerin unsichtbar bleibt und sich auch nie zu Wort meldet. Als Richard Gere, der ein großer Bewunderer des Dalai Lama ist, den Rohschnitt sah, war er vom Material begeistert, unterstützte das Projekt mit seinem Wissen und übernahm zusammen mit dem Regisseur Oren Moverman die Funktion des ausführenden Produzenten.
Tenzin Gyatso, wie der Dalai Lama mit bürgerlichem Namen heißt, macht von Anfang an klar, dass er nicht über Gott oder das nächste Leben, sondern über die menschliche Gesellschaft und aktuelle Probleme reden wird. In seinem gebrochenen Englisch betont er so in den folgenden 90 Minuten immer wieder die Bedeutung von Geduld, Toleranz und vor allem von Mitgefühl und fordert zur Überwindung von Angst und Hass auf.
Die Gemeinschaft der acht Milliarden Menschen, in denen er seine Brüder und Schwestern sieht, ist ihm ein zentrales Anliegen, aber auch seine Biographie kommt ins Spiel, wenn er sich daran erinnert, dass ihn seine Mutter dieses Mitgefühl gelehrt hat. Schon mit zwei Jahren wurde der 1935 geborene Sohn einer tibetischen Bauernfamilie von vier Mönchen aufgrund von Orakelsprüchen und anderen Vorzeichen als Wiedergeburt des 13. Dalai Lama anerkannt.
Kurz bietet seine Heiligkeit im Film, unterstützt von schwarzweißem Archivmaterial, Einblick in seine Kindheit und seine Ausbildung, die ihm selbst keine große Freude bereitete. Mit Archivmaterial erinnern Miller und Delaquis auch an in die chinesische Besetzung Tibets in den 1950er Jahre und die Flucht des Dalai Lama nach Indien, wo er sich nach mehreren Zwischenstopps in Dharamsala niederließ.
Mehrfach kommt der Friedensnobelpreisträger von 1989 auf die Situation Tibets zu sprechen, plädiert jedoch nicht für eine Lösung von China, aber für Respekt gegenüber der tibetischen Kultur und Sprache. Er kennt auch keinen Hass gegenüber den Besatzern, sondern vergibt den Tätern und verurteilt nur die Taten.
Biographische Ereignisse der folgenden 60 Jahre wie die Verleihung des Friedensnobelpreises werden dann aber ausgespart. Mehr als auf das Persönliche und Historische richtet der Interviewte den Blick auf die Menschheit insgesamt und die heutigen globalen Probleme. Gebetsmühlenartig wiederholt er sein Plädoyer, Selbstliebe als Grundlage für Mitgefühl für die anderen zu entwickeln.
Bilder von Stürmen, Überflutungen und Waldbränden rufen die Folgen des Klimawandels ebenso in Erinnerung wie Demonstrationen von Fridays for Future. Entschlossenes Handeln fordert der Dalai Lama nicht nur hier, sondern auch, wenn er den Aufbau von Feindbildern der am Beginn ihres Lebens toleranten Kinder im Laufe der Schulzeit anspricht. Auch hier unterstreichen Bilder vom Grenzzaun zwischen Mexiko und der USA und zwischen Israel und dem Westjordanland diese Trennungen, für deren Überwindung der Dalai Lama eintritt. Die Wurzeln für Kriege sieht er darin, an die wiederum Bilder von zerstörten Städten sei es in Syrien oder in der Ukraine erinnern.
Ein Kaleidoskop der Krisen und Probleme der heutigen Welt wird so gezeichnet, dem der Dalai Lama seinen Aufruf gegenüberstellt. In diesem gesellschaftspolitischen Engagement erinnert der Film an Wim Wenders´ Papst Franziskus-Dokumentarfilm "Papst Franziskus - Ein Mann seines Wortes" (2018), bei dem der deutsche Regisseur auch mehr diesen Aspekt als Fragen der katholischen Religion ins Zentrum stellte.
Ergänzend zur Entwicklung des Verstandes fordert der Dalai Lama dabei auch die Formung des Geistes und der Emotionen. Dabei gibt er auch konkrete Anweisungen zur Meditation, um inneren Frieden und Ruhe zu finden, die mit glücklich blickenden Menschen vermittelt werden sollen. Nie erscheint er dabei aber als rückwärtsgewandt oder weltfremd, sondern wird auch als der Wissenschaft und Forschung offen gegenüber vorgestellt, wenn er sich – an der Seite des österreichischen Physik-Nobelpreisträgers Anton Zeilinger – für Quantenphysik interessiert und wissenschaftliche Geräte bestaunt.
Spürbar wird auch seine charismatische Persönlichkeit. Die Gelassenheit und Ruhe, die er predigt, strahlt er in seinem stets heiteren Blick auch aus und spürbar wird, wie sehr er geachtet wird, wenn bei seinen Wegen durch seine Residenz immer wieder Leute auf die Knie fallen und ihm die Hand küssen, er andererseits quasi segnend seine Hände über sie legt.
Ein vielleicht letztes großes Zeugnis des inzwischen 90-Jährigen ist dieser Film somit und gerade im Repetitiven gewinnt Barbara Millers und Philip Delaquis´ Dokumentarfilm auch nachdrückliche Kraft. Andererseits sind diese Wiederholungen auch ermüdend und die Bebilderung, bei der eine Unmenge an Archivmaterial verwendet wurde, geht vielfach nicht über illustrativen Charakter hinaus. Haften bleiben so nur besonders markante Bilder, während vieles angesichts der Fülle rasch wieder verfliegt. Störend wirkt aber auch die beinahe durchgehende musikalische Untermalung, die kaum Momente der Stille zulässt.
Unbestritten ist gerade in der von Krisen und Kriegen erschütterten Gegenwart die Wichtigkeit seiner Botschaft, bringt aber auch kaum wirklich Neues oder Überraschendes, sondern bewegt sich teilweise doch auch auf dem Niveau von Kalendersprüchen. Zudem erweist sich auch die Fokussierung auf den Dalai Lama, der über 90 Minuten seine Gedanken mitteilt, als Manko. Da nichts kommentiert oder hinterfragt wird, können sich auch keine spannenden Ambivalenzen und produktiven Widersprüche entwickeln, sondern letztlich, wenn auch durchaus gewollt bleibt "Wisdom of Happiness - Weisheit des Glücks" abgesehen von den spannenden historischen Einblicken über weite Strecken im Predigthaften stecken.
Wisdom of Happiness – Weisheit des Glücks USA / Schweiz 2024 Regie: Barbara Miller, Philip Delaquis Dokumentarfilm Länge: 90 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen, Skino Schaan und Kinotheater Madlen in Heerbrugg.
Trailer zu "Wisdom of Happiness – Weisheit des Glücks: Eine inspirierende Begegnung mit dem Dalai Lama"
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