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AutorenbildWalter Gasperi

Women Talking - Die Aussprache


Acht Frauen einer mennonitischen Gemeinde versammeln sich in einer Scheune, um zu beraten ob sie die gewalttätigen Männer ihrer Kolonie verlassen oder gegen sie kämpfen sollen: Sarah Polley gelang ein herausragend gespieltes und konzentriert inszeniertes Kammerspiel über Patriarchat und weibliches Empowerment.


Nach realen Ereignissen in einer mennonitischen Kolonie in Bolivien verfasste Miriam Toews den 2018 erschienenen Roman "Women Talking", der sich zum Bestseller entwickelte und von mehreren Zeitungen wie der New York Times oder der Washington Post zum besten Buch des Jahres gekürt wurde. Frances McDormand sicherte sich die Rechte an einer Verfilmung und produzierte den Film, für den sie Sarah Polley als Regisseurin gewann. Erstmals seit dem Dokumentarfilm "Stories We Tell" (2013) stand die Kanadierin damit wieder hinter der Kamera, denn eine Gehirnerschütterung und anhaltende Konzentrationsprobleme hatten über Jahre eine Filmarbeit verhindert.


Schon die weitgehend auf Grautöne reduzierten desaturierten Farben betonen den künstlerischen Impetus des Films. Nichts soll hier vom Wesentlichen ablenken, kein Augenfutter soll geboten werden, sondern der Fokus soll ganz auf den acht Frauen liegen, die sich auf dem Heuboden einer Scheune treffen.


Im Voice-over erzählt Ona (Rooney Mara) diese Geschichte ihrem noch nicht geboren Kind und informiert über die Vorgeschichte. Jahrelang wurden ihnen nachts von den Männern Betäubungsmittel, die für das Vieh bestimmt waren, verabreicht, um sie dann zu schlagen und zu vergewaltigen. Ein Top Shot einer Frau, die mit blauen Flecken und Blut an den Beinen, im Bett liegt, vermittelt einen Eindruck von den Misshandlungen.


In kurzen Rückblenden und Randbemerkungen der Frauen wird sich im Laufe des Films das Bild weiten, werden beispielsweise auch Kindesmissbrauch und Homophobie gegenüber einem Transgender-Teenager dazukommen. Die Männer freilich machten für die Verletzungen der Frauen immer Dämonen verantwortlich, die sie im Schlaf überfallen hätten, oder taten die Klagen als weibliche Hysterie ab.


Erst als ein Mann auf frischer Tat ertappt wurde, flogen die Vergehen auf. Wütend sperrten die Frauen die Männer in eine Scheune. Um sie ihrem Zugriff zu entziehen, wurden sie in die Stadt ins Gefängnis gebracht. Doch bald werden sie zurückkehren, denn die restlichen Männer brachen auf, um für die Inhaftierten eine Kaution zu zahlen.


48 Stunden bleiben so den Frauen, um sich zu entscheiden. Drei Optionen stehen zur Wahl: Vergeben und so weiterleben, bleiben und kämpfen oder gehen. Nur wenige stimmten bei der Abstimmung dafür, dass es so weiter gehen könne, doch die Stimmen für ein Verlassen der Kolonie und ein Bleiben verbunden mit einem Kampf gegen die Männer hielten sich die Waage.


So treffen sich acht Frauen aus drei Generationen im Heuboden einer Scheune, um über diese beiden Optionen zu diskutieren. Ein aus der Gemeinde ausgeschlossener Lehrer (Ben Wishaw), der nach Jahren zurückkehrte, fungiert als Protokollführer und notiert die Pros und Kontras. Die Frauen selbst können nämlich weder Schreiben noch Lesen, jede Bildung wurde ihnen vorenthalten.


Ängste vor einer Verdammung nach dem Tod werden bald vom Tisch gewischt und Fragen von Freiheit und Sicherheit rücken an zentrale Stelle. Wenn die Kamera bei einer Erzählung einer älteren Frau einmal die Scheune verlässt und in der Totale die weite Landschaft erfasst, atmet der Film diese Freiheit und beschwört einen Weg in die Zukunft, dem die beklemmende Enge und die Angst vor der Gewalt der Männer in der Scheune gegenüberstehen.


Konzentriert auf diesen engen Raum und getragen von einem herausragenden, von Rooney Mara angeführten Ensemble entwickelt sich ein konzentriertes Kammerspiel, in dem packend Fragen von Macht und Religion diskutiert werden. Dem tiefen Glauben der Frauen steht der Missbrauch der Religion durch die Männer, die damit ihre Macht zementierten, gegenüber, der Angst vor der Verdammnis nach dem Tod nach dem Verlassen der Kolonie die Gewissheit nicht so weiter leben zu wollen wie bisher.


Diskutiert wird aber auch, inwieweit die gewalttätigen Männer selbst Produkte der gesellschaftlichen Strukturen sind, ob befohlene Vergebung überhaupt Vergebung sein kann und bis zu welchem Alter die Söhne mitgenommen werden sollen, denen die patriarchale Denkweise von klein auf indoktriniert wird. Immer wieder wird auch sichtbar, wie die fehlende Bildung ein selbstständiges Handeln der Frauen erschwert und wie der Ausschluss von Bildung ein Machtinstrument der Männer ist.


Dicht lässt Polley die unterschiedlichen Positionen aufeinanderprallen, setzt überlegt auch die Musik der für "Joker" mit dem Oscar ausgezeichneten isländischen Komponistin Hildur Guðnadóttir ein. Trotz der weitgehenden Beschränkung auf den Heuboden als Schauplatz und der Dialoglastigkeit ist "Women Talking" dabei alles andere als abgefilmtes Theater.


In genau getimtem Rhythmus stehen Totalen der Gruppe nämlich immer wieder Großaufnahmen der einzelnen Frauen gegenüber. Geringe Schärfentiefe lenkt dabei den Blick auf die einzelnen Gesichter und verleiht der nachdenklichen Ona ebenso Profil wie der wütenden Salomé (Clarie Foy), der zögerlichen Mariche (Jessie Buckley) oder zwei besonnenen alten Frauen.


Als einzigen Mann bringt Polley den von Ben Wishaw gespielten Lehrer ins Spiel, der ein Männlichkeitsbild präsentiert, das die Frauen als gleichwertig ansieht. Beiläufig erzählt die 44-jährige Kanadierin hier auch eine ebenso leise wie berührende Liebesgeschichte, zwischen diesem Lehrer und Ona. Mit ihren liebevollen Blicken und der Begegnung auf Augenhöhe bilden sie auch einen Gegenpol zu den patriarchalen Machtstrukturen in der Community.


Ein kluger Schachzug ist es auch, dass die Peiniger kein Gesicht bekommen. Auch wenn ihre Übergriffe nie gezeigt werden, ist ihre Gewalttätigkeit dennoch spürbar und eindrücklich nochmals gegen Ende sichtbar, wenn Salome am nächsten Morgen von ihrem Mann schwer verprügelt in die Scheune zurückkehrt. Nicht erst hier wird freilich deutlich, dass diese Gewalt nur durch eine entschlossene und entschiedene Reaktion der Frauen beendet werden kann.


Trotz des bedrückenden Themas ist "Women Talking" aber kein hoffnungsloser Film, sondern beschwört mit einer finalen Flugaufnahme und dem Blick auf die weite Landschaft mit einer gerade zum Horizont führenden Straße auch einen Weg in eine befreite Zukunft.


Während die Handlung dabei im geschlossenen Raum der Community mit ihren Pferdewagen, der Kleidung und dem Verzicht auf Elektrizität und jede moderne Technik im 19. Jahrhundert zu spielen scheint, verankert ein etwa in der Mitte des Films auftauchender Pick-up, von dem aus zu einer Volkszählung aufgerufen wird, das Geschehen im Jahre 2010. Und mit dieser anderen Welt, die hier in die bäuerliche Gemeinschaft hereinbricht, weckt auch der fröhliche Monkees-Song "Daydream Believer", der aus dem Megafon ertönt, die Ahnung, dass ein anderes, befreiteres Leben möglich ist.


Gleichzeitig macht diese Szene aber auch bewusst, dass Polley, die selbst als Kinderdarstellerin sexuelle Übergriffe im Filmbusiness erfuhr, nicht von einer fernen Vergangenheit erzählt, sondern die Gegenwart meint. Ihr Film, der sowohl im ländlichen Amerika wie auch auf der Südhalbkugel, auf die die Verwendung des "Kreuz des Südens" als Orientierungsmittel hindeutet, spielen kann, ist kein historischer, sondern einerseits zeitlos, andererseits auch ein aktueller Kommentar zu #meToo und der damit verbundenen Befreiung der Frauen von männlicher Übergriffigkeit und Gewalt.


Women Talking – Die Aussprache USA 2022 Regie: Sarah Polley mit: Rooney Mara, Claire Foy, Jessie Buckley, Judith Ivey, Ben Whishaw, Frances McDormand, Sheila McCarthy, Michelle McLeod, Kate Hallett Länge: 105 min.



Läuft derzeit in den österreichischen und deutschen Kinos


Trailer zu "Women Talking - Die Aussprache"




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