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AutorenbildWalter Gasperi

Zombi Child


Pariser Elite-Gymnasium und Zombies auf Haiti. – Im Grunde passt das kaum zusammen, aber Bertrand Bonello entwickelt daraus einen ebenso eleganten wie faszinierenden Spielfilm, der nun bei absolut MEDIEN auf DVD erschienen ist.


Mit dem vorangestellten Zitat "Höre, weiße Welt die Salven unserer Toten, höre auf meine Zombiestimme zu Ehren unserer Toten" des haitianischen Dichters René Depestre stimmt Bertrand Bonello schon auf das Spannungsfeld von Frankreich und Haiti, aber auch auf die Zombie-Thematik ein. An klassischen Zombiefilmen wie George A. Romeros "Dawn of the Dead" zeigt Bonello aber kein Interesse. Keine blutigen Splatterszenen gibt es hier, keine torkelnden lebenden Toten, vielmehr orientiert sich der Franzose am historischen haitianischen Voodoo-Kult.


Zu Wolken am nächtlichen Himmel und Vollmond setzt die Handlung mit dem Insert "Haiti 1962" ein. Ein Kugelfisch wird ausgenommen und eine Substanz daraus fabriziert, die in einem Schuh verteilt wird. Der Träger des Schuhs bricht auf der Straße zusammen und wird bestattet.


Abrupt wechselt Bonello in das Pariser Elitegymnasium Maison d’éducation de la légion d’honneur, in das nur Töchter, Enkel oder Urenkel von Mitgliedern der Ehrenlegion aufgenommen werden. Die sauberen, weiß-dunkelblauen Schuluniformen der Mädchen und die brav und still in den genau geordneten Sitzreihen im Klassenzimmer sitzenden Schülerinnen, deren Gesichter die Kamera von Yves Cape immer wieder abfährt, stehen im Kontrast zu der Zuckerrohrplantage auf Haiti, zu der "Zombi Child" immer wieder springt. Während hier die schwarzen Arbeiter als Sklaven herumkommandiert werden, referiert in der Schule der Geschichtelehrer über die untrennbare Verbindung Frankreichs mit der Revolution und über die Freiheit.


Den Mädchen steht auf Haiti der 1962 scheinbar Verstorbene gegenüber, mit dem an den historischen Clairvius Narcisse erinnert wird, der 1962 verstorben, 1980 als Zombie aber wieder aufgetaucht sei. Nur scheintot war er nämlich beim Begräbnis, wurde von Freunden wenige Tage später exhumiert und landete als Sklave auf einer Zuckerrohrplantage, bis er floh und nun durch die nächtlichen Straßen Haitis streift. Den Dialogen in den Schulszenen in Frankreich, steht die Wortlosigkeit dieser haitianischen Szenen gegenüber. Gemeinsam ist den beiden Schauplätzen aber ihre Entstehungszeit im Zuge der Französischen Revolution und der Herrschaft Napoleons. Denn nur ein Jahr nachdem 1804 die französische Kolonie Haiti ihre Unabhängigkeit erlangt hatte, wurde diese Eliteschule gegründet.


In der Schule bilden Fanny, die im Voice-over immer wieder von ihrer Sehnsucht nach ihrem Freund Pablo spricht, und drei Freundinnen eine geheime Gruppe, die sich nachts im Kunstraum trifft. Harmlose Sitzungen mit Gin und Gespräch sind das, doch dann nehmen sie auf Drängen Fannys die neu in die Schule eingetretene Haitianerin Melissa auf. Waise ist dieses Mädchen, seit es 2010 beim Erdbeben auf Haiti ihre Eltern verloren hat, und lebt seit kurzem in Paris bei ihrer Tante, die eine Mambo, eine Voodoo-Priesterin, ist. Als Fanny von ihrem Freund verlassen wird, geht sie in ihrer Trauer zur Tante, die mit ihrem Zauber helfen soll, während parallel dazu in Haiti eine Zeremonie zu Ehren des Zombie Clairvius gefeiert wird.


Das ist auf der einen Seite eine Schulgeschichte um typische Sorgen und Nöte von Teenagern, andererseits aber auch eine ungewöhnliche Auseinandersetzung mit dem Spannungsverhältnis zwischen Frankreich und seiner ehemaligen Kolonie Haiti, mit Freiheit und Unterdrückung, mit rationaler Welt und mythischen Kräften. Dieser mythisch-magischen Welt stellt Bonello die modernen Pariser Teenager gegenüber.


Streng katholisch ist zwar die Schule, doch Religion scheint im Leben der Teenager keine Rolle zu spielen. Wenn man sie nicht im Unterricht sieht, hängen sie am Smartphone und unterhalten sich über Horrorfilme und Musik. Wenn sie vor allem für den belgisch-kongolesischen Rapper Damso schwärmen, kommt wieder die Kolonialgeschichte ins Spiel, andererseits legen sie mit ihren geheimen nächtlichen Sitzungen und schließlich mit dem Interesse am Voodoo-Kult auch ein Faible für Geheimnisvolles und Magisches, rational nicht Erklärbares an den Tag.


Und gleichzeitig wirft der elegant inszenierte Film in diesem Gegensatz Fragen nach Geschichte und Gegenwart, nach kultureller Zugehörigkeit und Diskrepanzen sowie nach den Folgen des Kolonialismus auf, bis in der fulminanten Schlussszene die Ebenen durch die Montage verschmelzen und die magische haitianische Welt direkt in die säkularisierte französische Welt hereinzubrechen scheint.


Die bei absolut MEDIEN erschienene DVD verfügt über die französische Originalfassung, zu der deutsche Untertitel zugeschaltet werden können. Extras gibt es keine.


Trailer zu "Zombi Child"


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