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  • AutorenbildWalter Gasperi

Zwischen den Welten: Pawel Pawlikowski


Wie sein Meisterwerk „Cold War“ zwischen Polen und Paris pendelt, ist auch der 1957 in Warschau geborene Pawel Pawlikowski selbst ein Grenzgänger zwischen den Kulturen. Er wuchs nicht nur in mehreren Ländern auf, sondern drehte auch seine ersten Filme in England, ehe er 2013 mit „Ida“ in seine polnische Heimat zurückkehrte. Das Zürcher Kino Xenix und das Stadtkino Basel widmen dem brillanten Ästheten im November eine Retrospektive.


Die Trennung seiner Eltern, deren konfliktbeladene 40-jährige Beziehung Pawel Pawlikowski zum großen Liebesfilm „Cold War“ (2018) inspirierte, führte dazu, dass er als 14-Jähriger mit seiner Mutter, die Dozentin für englische Literatur war, Polen verließ und zunächst in Deutschland und Italien, dann ab 1977 in Großbritannien lebte.


In Oxford studierte er Philosophie und Literatur, das filmische Handwerk erlernte er autodidaktisch. Mit Dokumentarfilmen für die BBC wie „Lucifer over Lancashire“, der das Bemühen eines Priesters ein riesiges Kruzifix auf dem Pendle Hill in Lancashire zu errichten begleitet, oder „Vaclav Havel“ (1989) erregte er Aufmerksamkeit, ehe er in den 1990er Jahren den Durchbruch schaffte.


Während er sich in dem Dokumentarfilm „From Moscow to Pietushki“ (1989/91) dem Prosagedicht „Moskau Petushki“ und dessen Auftor Wenedikt Jerofejew widmete, analysierte er in dem kontrovers aufgenommenen „Serbian Epics“ (1992) die Motive und Traditionen der Serben im Bosnienkrieg.


Nach einem ersten Ausflug zum Spielfilm mit „The Stringer“ (1998), der als misslungen gilt, kehrte er mit „Twockers“, in dem er die Annäherung zwischen einem jungen Autodieb und einem schwangeren Teenager begleitet, vorübergehend zum Dokumentarfilm zurück. Zahlreiche Preise gewann er anschließend mit dem auf 16mm gedrehten Spielfilm „Last Resort“, dessen Geschichte von einer jungen russischen Mutter und ihrem Sohn, die in England Fuß zu fassen versuchen, unübersehbar autobiographisch geprägt ist.


Nachdem Pawlikowski sich von einem biographischen Film über Sylvia Plath und Ted Hughes („Ted and Sylvia“, 2002) wegen künstlerischer Differenzen zurückgezogen hatte, gelang ihm 2004 mit „My Summer of Love“ ein packendes Porträt von zwei aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten stammenden Mädchen, die nach Orientierung und Identität suchen. Schon hier erzählt Pawlikowski, eingebettet in eine Sommerstimmung, die mit lichtdurchfluteten Bildern intensiv beschworen wird, von der Kraft des Begehrens und der Liebe, aber auch vom Schmerz, den das Scheitern einer Beziehung zurücklässt.


Unvollendet blieb aufgrund einer schweren Erkrankung und des Todes seiner Frau anschließend das nächste Projekt „The Restraint of Beasts“ und in den folgenden Jahren beschränkte er sich, um sich um seine beiden Kinder kümmern zu können, auf das Schreiben von Drehbüchern.


Erst 2010 drehte er mit der Verfilmung von Douglas Kennedys Roman „Die Liebhaberin“ unter dem Titel „The Woman in the Fifth“ („Die geheimnisvolle Fremde“) seinen nächsten Film. Wie bei „My Summer of Love“ besticht auch bei diesem Thriller, in dem ein amerikanischer Schriftsteller nach Paris reist, um seine Ehe zu retten, die dichte Atmosphäre, allerdings löst das Labyrinth aus Wahn und Wirklichkeit beim Zuschauer auch Frustration aus.


Man kann in diesem sperrigen Film, in dem sich Ethan Hawke ähnlich in Paris verliert wie der vom Tod seiner Tochter traumatisierte Kunstrestaurator in Nicholas Roegs „Don´t Look Now“ in Venedig, freilich auch eine Auseinandersetzung Pawlikowskis mit dem verlust seiner eigenen Frau sehen.


Vollends zu seinem eigenen Stil fand der Pole aber mit der Rückkehr in seine Heimat. Während er in „Ida“ eindrucksvoll das Spannungsfeld von Katholizismus und Kommunismus im Polen der 1960er Jahre beschwor, gleichzeitig aber auch im Vordergrund von einer jungen Novizin erzählte, die sich zwischen klösterlichem oder zivilem Leben entscheiden muss, verknüpfte er in „Cold War“ eine sich über Jahrzehnte spannende, aber nur in kurzen Momenten glückliche Liebe mit der Spaltung des Nachkriegseuropas.


Meisterhafte Schwarzweißfotografie, in denen Begehren und Lebenslust ebenso wie im brillanten Gespür für Musikeinsatz zum Ausdruck kommen, steht hier die Vermittlung gesellschaftlicher Enge und Zwänge durch das 4:3 Format gegenüber, während durch eine stark elliptische Erzählweise die Geschichten brillant auf das Wesentliche verknappt und verdichtet werden. – Als einer der großen Ästheten des modernen Kinos hat sich Pawlikowski mit diesen beiden Filmen etabliert und eine Meisterschaft erreicht, die nicht mehr übertreffbar scheint. – Ein Neuansatz scheint somit nun nötig und gespannt darf man auf den nächsten Film des 62-jährigen Polen sein.


Spieltermine und Filmbeschreibungen auf Xenix Zürich und Stadtkino Basel


Trailer zu "Cold War"



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